Freidenker gesucht

Additive Manufacturing dringt immer mehr in die Kleinserienfertigung vor. Das erfordert ein Umdenken der Konstrukteure, die sich von den Beschränkungen der bestehenden Produktionsverfahren lösen müssen. An zwei außergewöhnlichen Praxisbeispielen zeigt die Vorarlberger Hightech-Schmiede 1zu1 Prototypen, dass mittels additiver Verfahren Teile realisierbar sind, die bisher völlig unmöglich erschienen.

Rapid-Prototyping-Leiter Markus Schrittwieser (links), Christina Ulmer und Vertriebsleiter Thomas Kohler von 1zu1 Prototypen diskutieren die Herausforderungen bei der Herstellung der „duftenden Kinoarmlehne“. (Copyright: 1zu1 Prototypen/Darko Todorovic)

Rapid-Prototyping-Leiter Markus Schrittwieser (links), Christina Ulmer und Vertriebsleiter Thomas Kohler von 1zu1 Prototypen diskutieren die Herausforderungen bei der Herstellung der „duftenden Kinoarmlehne“. (Copyright: 1zu1 Prototypen/Darko Todorovic)

1zu1 Prototypen

• Geschäftsfelder: Rapid Prototyping, Rapid Manufacturing und Rapid Tooling
Fertigungsverfahren: Stereolithografie, Lasersintern, FDM, • 3D-Drucktechnik, verschiedene Kunststoff- und Metallgussverfahren
• 135 Mitarbeiter
• Standort: Dornbirn, Österreich
www.1zu1.eu

Der Hype um 3D-Druck zeigt Wirkung: Täglich gehen bei 1zu1 Prototypen derzeit Anfragen für die Serienfertigung von Teilen in Additiver Fertigung ein. „Vor einem Jahr war das höchstens einmal im Monat der Fall“, schildert Vertriebsleiter Thomas Kohler und er ist überzeugt: „Additive Fertigung dringt von der Herstellung von Prototypen und Einzelteilen gerade in den Produktionsmarkt vor.“

Doch viele Anfragen sind für die Additive Fertigung uninteressant: Einen eingespielten Produktionsprozess einfach zu ersetzen, ist kaum rentabel. „Wenn ich ein Drehteil konstruiert habe, bin ich mit Drehen immer billiger“, bringt es Kohler auf den Punkt. Nur wenn Konstrukteure die Möglichkeiten Additiver Fertigung wirklich nützen, entsteht echter Mehrwert.

Vertriebsleiter Thomas Kohler (links), Christina Ulmer und Rapid-Prototyping-Leiter Markus Schrittwieser von 1zu1 Prototypen prüfen die anspruchsvollen Vorrichtungsteile, die sie für einen großen, deutschen Maschinenbauer hergestellt haben. (Copyright: 1zu1 Prototypen/Darko Todorovic)

Vertriebsleiter Thomas Kohler (links), Christina Ulmer und Rapid-Prototyping-Leiter Markus Schrittwieser von 1zu1 Prototypen prüfen die anspruchsvollen Vorrichtungsteile, die sie für einen großen, deutschen Maschinenbauer hergestellt haben. (Copyright: 1zu1 Prototypen/Darko Todorovic)

Spektakuläres 5D-Kino

Deutlich wird das bei einem Kunststoffteil, das der österreichische AV-Systemintegrator Kraftwerk Living Technologies bei 1zu1 Prototypen fertigen ließ. Das 70 Mitarbeiter zählende Unternehmen aus Wels realisiert weltweit außergewöhnliche audio-visuelle Systemlösungen. Im vergangenen Jahr lieferte Kraftwerk Living Technologies beispielsweise die komplette Technik für das größte 5D-Kino der Welt in China.

Sein Herzstück sind 1.000 bewegliche 4D-Kinositze. Die von Kraftwerk Living Technologies entwickelten Sitze sind mit Spezialeffekten wie Vibration, Gerüchen sowie Luft- und Wasserstößen in den Nacken beziehungsweise ins Gesicht ausgestattet. Gemeinsam mit weiteren im 5D-Kino verbauten Spezialeffekten wie Regen, Nebel oder speziellen Lichteffekten sorgen sie dafür, dass sich der Besucher mitten im Geschehen des gezeigten 3D-Films wähnt.

1.000 Sitze mit Special-Effects-Armlehnen sind das Herzstück des größten 5D-Kinos der Welt. (Copyright: Kraftwerk Living Technologies)

1.000 Sitze mit Special-Effects-Armlehnen sind das Herzstück des größten 5D-Kinos der Welt. (Copyright: Kraftwerk Living Technologies)

Armlehne mit Special Effects

In China setzte Kraftwerk Living Technologies erstmals die neu entwickelte und bis dato einzigartige Special Effects-Armlehne für die 4D-Sitze ein. Luft-, Wasser- oder Geruchseffekte strömen direkt aus dieser Armlehne und werden somit erstmals in die unmittelbare Nähe des Besuchers gebracht.

„Wir hatten die Aufgabe, ein hochkomplexes Bauteil auf kleinstem Raum zu realisieren“, schildert der technische Geschäftsführer von Kraftwerk Living Technologies, Christian Hofer. Die Auslässe sind nur etwa 6 cm breit, 5 cm hoch und 4 cm tief. Sie wurden eigens für die hochmodernen 4D-Sitze konstruiert. Insgesamt 1.500 Stück benötigte das Unternehmen alleine für das Projekt in China.

Das größte 5D-Kino der Welt ist mit Technik aus Österreich ausgerüstet. (Copyright: Kraftwerk Living Technologies)

Das größte 5D-Kino der Welt ist mit Technik aus Österreich ausgerüstet. (Copyright: Kraftwerk Living Technologies)

Hochkomplexes Bauteil

In dem Bauteil sind Kanäle für Düfte und Wasser sowie Beleuchtungselemente integriert. Mehr noch: Die innenliegenden Kanäle sind gekrümmt. Ihr Durchmesser variiert, um besondere Verwirbelungen der ausströmenden Luft zu erreichen. Ein Schnappmechanismus ermöglicht eine schraubenlose Montage.

"Das wäre in Spritzguss kaum zu realisieren gewesen", ist Kundenberater Hubert Kemmer von 1zu1 Prototypen überzeugt: „Dafür wären sicher fünf bis sechs einzelne Spritzguss-Teile nötig gewesen, die man dann zusammenfügen hätte müssen. Das hätte Probleme bei der Montage und der Dichtheit ergeben, der Auslass wäre viel größer und ungleich teurer geworden.“

Das hochkomplexe Kunststoff-Bauteil für die Kinostühle integriert Auslässe für Duftstoffe, Wasserdampf und Beleuchtungselemente. (Copyright: 1zu1 Prototypen/Darko Todorovic)

Das hochkomplexe Kunststoff-Bauteil für die Kinostühle integriert Auslässe für Duftstoffe, Wasserdampf und Beleuchtungselemente. (Copyright: 1zu1 Prototypen/Darko Todorovic)

Entwicklung in Schritten

Realisiert wurde das Bauteil schließlich mit selektivem Lasersintern. So konnte es sogar in mehreren Schritten getestet und optimiert werden. „Unsere Anforderungen waren nur sehr bedingt zu simulieren“, schildert Christian Hofer. Insgesamt 18 Varianten ließ Kraftwerk Living Technologies fertigen, bis das Unternehmen mit den Effekten zufrieden war.

Ein weiterer Vorteil des Fertigungsverfahrens: Die rasche Verfügbarkeit kleiner Stückzahlen erlaubte schon während der Entwicklung umfangreiche Tests bezüglich der langfristigen Haltbarkeit. Die Teile sind schließlich jahrelang ständiger Feuchtigkeit ausgesetzt.

Lasersintern mit speziellen Parametern

Produziert wurde das fertig entwickelte Bauteil schließlich in Losgrößen von jeweils 100 Stück mit dem Feinpolyamid PA 2200. Um die geforderte Dichtheit und eine besondere Beschaffenheit der Oberfläche zu erreichen, optimierte 1zu1 Prototypen die Einstellungen an der EOS P396 Lasersinteranlage neuester Generation. „Wir haben eine ‚offene‘ Anlage, die es uns erlaubt, an den Parametern zu drehen, wenn ein Kunde spezielle Anforderungen hat“, schildert Kemmer. „Nur so war es auch möglich, vollständig dichte Bauteile mittels SLS-Technik herzustellen.“

Die Maschinenlaufzeit lag bei 15 Minuten pro Düse – für 100 Bauteile also etwa 25 Stunden. Danach wurde der heiße Pulverbackkuchen aus der Sinteranlage entnommen und kühlte weitere 25 Stunden langsam bei Raumtemperatur ab. Erst dann war der nächste Bearbeitungsschritt – Strahlen, Schleifen und Lackieren der äußeren Oberflächen – möglich. Insgesamt waren die Bauteile nach längstens einer Arbeitswoche liefer- und einbaubereit.

Das Vorrichtungsteil wurde inklusive Scharnier in einem Stück additiv gefertigt und ermöglicht einem deutschen Maschinenbauer eine rationellere Produktion. (Copyright: 1zu1 Prototypen/Darko Todorovic)

Das Vorrichtungsteil wurde inklusive Scharnier in einem Stück additiv gefertigt und ermöglicht einem deutschen Maschinenbauer eine rationellere Produktion. (Copyright: 1zu1 Prototypen/Darko Todorovic)

Know-how in der Konstruktion

Die Konstrukteure von 1zu1 Prototypen unterstützten die Entwickler des Welser AV-Spezialisten in diesem Prozess. „Wir hatten wenig Erfahrung mit additiven Fertigungsverfahren und ihren Grenzen. Die enge Zusammenarbeit hat uns deshalb sehr geholfen“, betont Hofer.

Für den Vertriebsleiter von 1zu1-Prototypen, Thomas Kohler, ist dieser Know-how-Transfer einer der Knackpunkte bei Entwicklungsprojekten für Additive Fertigung: „Eine enge Abstimmung mit den Kunden ist für uns ohnehin selbstverständlich. Darüber hinaus bieten wir die Unterstützung bei Konstruktionsprojekten inzwischen aber auch als Dienstleistung an.“ So profitieren die Entwickler des Kunden von der langjährigen Erfahrung der Prototypenbauer. Gemeinsam entstehen oft sehr rasch die besseren Lösungen.

Kleinserie für Maschinenbauer

Gänzlich anders gestaltete sich ein Projekt von 1zu1 Prototypen für einen weltweit tätigen Maschinenbauer mit Sitz am Bodensee. Das Unternehmen entwarf einige Vorrichtungen, um seine Produktion zu optimieren. Fünf kompakte Kunststoffteile mit Filmscharnieren und Schnappverschlüssen wurden dafür je 20 Mal benötigt. Sie mussten für den Einsatz unter Wasser geeignet sein. Auch dafür war Additive Fertigung das Mittel der Wahl. „Hätten wir die Teile wie bisher üblich gefräst, wäre die Fertigung fünf Mal so teuer gewesen und hätte zehnmal so lange gedauert“, ist 1zu1-Kundenberater Hubert Kemmer sicher.

Auch hier waren mehrere Entwicklungsschritte bis zum fertigen Produkt nötig. Jeder dieser Schritte hätte beim Fräsen rund einen Monat gedauert. Dank Additiver Fertigung waren die Vorrichtungs-Bauteile hingegen schon nach jeweils drei Tagen wieder unterwegs zum Kunden. Der ganze Entwicklungsprozess verkürzte sich so von mindestens einem halben Jahr auf wenige Wochen.

Umdenken in der Entwicklung

Für den Geschäftsführer von 1zu1 Prototypen, Hannes Hämmerle, zeigen die beiden Projekte beispielhaft die Möglichkeiten additiver Verfahren. Voraussetzung sei „ein komplettes Umdenken in der Konstruktion. Wir merken an vielen Anfragen, dass die Entwickler noch in den herkömmlichen Verfahren denken.“

„Die Entwickler können sich von den Fertigungsverfahren lösen und sich komplett auf den Nutzen eines Bauteils konzentrieren“, ergänzt Vertriebsleiter Thomas Kohler. „Statt sich zu fragen, wie ein Teil konstruiert sein muss, damit es gefräst oder gegossen werden kann, stellt sich in der additiven Fertigung nur mehr die Frage: Was muss dieses Teil können und wie kann ich diese Funktion optimal erreichen?“

Dieses Umdenken braucht Zeit. Der genannte Maschinenbau-Konzern beispielsweise engagierte für einige Monate zwei externe Spezialisten, die sämtliche Produktionsprozesse auf Einsparungs- und Innovationspotenzial untersuchen sollen. Das zeigt auch, wie schwer sich gestandene Entwickler mit dieser neuen Herangehensweise tun.

1zu1-Geschäftsführer Hannes Hämmerle sieht die Additive Fertigung als Ergänzung zu bestehenden Produktionsverfahren wie Fräsen oder Spritzguss: „Wenn das Verständnis der Konstrukteure wächst, wird sie in der Serienfertigung deutlich an Bedeutung gewinnen.“ Sie ermögliche den Konstrukteuren eine viel größere Freiheit. „Wer so konstruiert, kann mittels Additiver Fertigung echten Mehrwert schaffen“, ist Hämmerle überzeugt.

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