gastkommentar

1984 – Mit der Stereolithografie fing alles an

US4575330A war die Patentnummer, die den Beginn des 3D-Drucks und der Additiven Fertigung markierte. Vor fast 40 Jahren kam Chuck Hull auf seine revolutionäre Idee und wurde 1986 mit seinem ersten Patent dafür belohnt.

Timm Kragl ist seit 2006 in der Welt des 3D-Drucks zu Hause. Heute arbeitet er als herstellerunabhängiger Berater für seriennahe Anwendungen rund um die Additive Fertigung. Der Fokus liegt auf Turn-Key-Anwendungen, die digitale Prozesskette/Software und artgerechten CAD-Konstruktionen („DfAM“). Sein Hauptsitz ist in München, aber für Kundenprojekte ist er auch immer wieder vor Ort unterwegs.

Timm Kragl ist seit 2006 in der Welt des 3D-Drucks zu Hause. Heute arbeitet er als herstellerunabhängiger Berater für seriennahe Anwendungen rund um die Additive Fertigung. Der Fokus liegt auf Turn-Key-Anwendungen, die digitale Prozesskette/Software und artgerechten CAD-Konstruktionen („DfAM“). Sein Hauptsitz ist in München, aber für Kundenprojekte ist er auch immer wieder vor Ort unterwegs.

Manchmal liegen bahnbrechende Innovationen in der Luft und Innovationen haben dann mehrere Mütter bzw. Väter. Leibnitz und Newton waren beispielsweise kongeniale Zeitgenossen und entdeckten unabhängig voneinander die Differentialrechnung. So war es auch bei der Stereolithografie. Auch wenn es bereits früher Vorläuferideen und -patente (1971 Swainson, 1981 Kodama und 1982 Herbert) für einen schichtweisen Aufbau von Objekten mit lichtsensitiven Polymeren gab, gilt Hull als derjenige, der das Prinzip erfolgreich als Erster auf den Markt brachte. Im Sommer 1984 war es dann wie bei einem spannenden Zieleinlauf mit „Foto-Finish“ über eine Distanz von 800 Metern, nur dass die Kontrahenten nichts voneinander ahnten. Zur gleichen Zeit wie Chuck Hull in Kalifornien forschten in Frankreich Alain Le Méhauté, Olivier de Witte und Jean Claude André ebenfalls an einer Technologie, um fotoreaktives Kunstharz („Monomer“) mit einem Laserstrahl auszuhärten. Und sie meldeten ihre Idee am 16. Juli 1984 und somit drei Wochen vor Hull zum Patent an. Doch Hull hatte Glück. Das Management der Firma Compagnie Industriel des Lasers („Cilas“), bei der die drei Franzosen beschäftigt waren, befand die Idee als irrelevant für eine Vermarktung. Sie wurde also nicht weiterverfolgt. Bahn frei für Chuck Hull und seine Firma 3D Systems, die er 1986 mit Erteilung des Patents in den USA gründete.

Die Model SLA-1 von 3D Systems war die erste kommerzielle Stereolithografiemaschine und Wegbereiter einer ganzen Industrie. (Bild: 3D Systems)

Die Model SLA-1 von 3D Systems war die erste kommerzielle Stereolithografiemaschine und Wegbereiter einer ganzen Industrie. (Bild: 3D Systems)

Ideenfindung und Wirkungsprinzip der „Mutter aller 3D-Druckverfahren“

Wie aber kam Chuck Hull auf seine Idee? Hull gab seiner Erfindung den Namen „Stereolithografie“. „Stereo“ (Griechisch für „fest, starr“) verweist auf eine alte Drucktechnologie, das „Stereotyping“. „Lithografie“ deutet auf einen Haupteinsatzbereich der photonischen Belichtungstechnik, der „Fotolithografie“ hin. Diese Technologie erzeugt einen Fotoresist für die Fertigung von Leiterbahnen. Die ausbelichteten Bahnen werden dabei als Schablonen für den anschließenden Ätzprozess verwendet. Zudem hantierte Hull laut eigener Aussage mit Tischplatten-Laminaten und -Beschichtungen, bei denen widerstandsfähige Oberflächen über das fotoreaktive Aushärten von Kunstharz hergestellt werden. Beide Einsatzbereiche sind aber reine 2D-Anwendung. Und irgendwie muss dabei der gedankliche Geniestreich stattgefunden haben: Er erkannte, dass über die selektive Steuerung einer Lichtquelle und durch den schichtweisen Auftrag von Kunstharz über die addierte Höhe 3D-Objekte entstehen. Wir können uns seine Aufgeregtheit vorstellen, als Hull auf einmal das Potenzial erkannte. Viele unterschiedlich ausgehärtete und übereinander aufgetragene Schichten ergeben ein physisches Teil jeglicher Form. Die Idee für die Additive Fertigung war geboren, auch wenn es bis dahin noch ein steiniger Weg sein sollte. Der erste Einsatzbereich war dann auch weniger eine alternative Fertigungsmethode, sondern eher im Modellbau und dem späteren „Rapid Prototyping“ angesiedelt. Weitere technische Fragestellungen mussten hierbei gelöst werden. Als punktuelle Lichtquelle diente ein neuartiger Gas-Laser. Das ist nicht weiter verwunderlich; schließlich hatte der Laser seinen Siegeszug in unterschiedlichen Industrien bereits angetreten. Dennoch war die Baufläche der ersten Stereolithografie-Anlage eher klein, da die Laserleistung für den Aushärteprozess und damit einhergehend die reduzierte Reaktionszeit noch nicht mit dem später eingeführten Festkörperlaser vergleichbar war. Zum Glück wurden Anfang der 80er-Jahre neue, erschwingliche Personal Computer auf den Markt gebracht, die bei der numerischen Verarbeitung größerer Datenmengen halfen.

Das Prinzip, das entstehende Objekt schichtweise in einem Polymerbad abzusenken und flüssiges Polymer auf der oberen Fläche zu verteilen, scheint eine naheliegende Abstraktion zu sein. Natürlich gab es hierbei viele Details zu klären, wie etwa das fehlerfreie Beschichten und die Überwindung des optischen Verzugs, wenn der Laser die entstehende Geometrie in der Belichtungsebene abzeilt. Aber eine der größten Herausforderungen war sicherlich die Frage: „Wie füttere ich die Anlage mit Daten?“ CNC-Maschinensteuerungen gab es ja bereits in der subtraktiven Fertigung, bei der mathematische und damals zumeist prismatische Geometrieinformationen für die Erstellung eines Maschinencodes herangezogen werden. Aber hier war das Problem anders gelagert. Ein beliebiger 3D-Datensatz musste in maschinenlesbare Schichten unterteilt werden, „Slicing“ genannt, und anschließend schichtweise verwendet werden, um die Laserauslenkung zu steuern. Sein Anspruch war es auch, eine offene Schnittstelle für die Interpretation beliebiger 3D-Daten gleich mitzuliefern. Und so erfand er die STL-Datei („Standard Tesselation Language“) gleich dazu, die die Oberfläche von 3D-Geometrien über winzige Dreiecke beschreibt. Nach wie vor wird dieses Dateiformat, auch wenn es heute geeignete Alternativen gibt, weiter genutzt und ist zum Quasistandard für den 3D-Druck geworden.

Chuck Hull war weitsichtig genug, über das Ursprungspatent und Folgepatente seine Idee umfassender abzusichern. Er formulierte also allgemeiner, um auch andere formlose Materialsysteme, die sich über elektromagnetische Strahlung anregen und aushärten lassen, mit abzudecken. Aber es kam, wie es kommen musste. Wettbewerber fanden schließlich technische Mittel und Wege, um diese Patente zu umgehen. Dennoch gelang es 3D Systems erfolgreich seine Schutzrechte geltend zu machen und Konkurrenten über die Weiterentwicklung dieser Schutzrechte am Markteintritt zu behindern. Auch die frühe Übernahme von potenziellen Wettbewerbern wurde zu einer strategischen Leitlinie von 3D Systems, beginnend mit der Übernahme von DTM aus Texas, den Erfindern des Selektiven Lasersinterns. Heute befinden sich unzählige Firmen und Technologien im Portfolio von 3D Systems. Dabei ist 3D Systems so etwas wie ein „Voll-Sortimentler“ für 3D-Druck geworden.

Noch heute orientiert sich das Design von Stereolithografiemaschinen an der Patentzeichnung zum Patent US4575330A von Chuck Hull.

Noch heute orientiert sich das Design von Stereolithografiemaschinen an der Patentzeichnung zum Patent US4575330A von Chuck Hull.

Stereolithografiematerialien sind auch nach dem Aushärten größtenteils noch lichtempfindlich. Das kann zum Vergilben und Verspröden führen. Das einseitig dem Sonnenlicht ausgesetzte Teil zeigt auf der linken Seite diesen Effekt.

Stereolithografiematerialien sind auch nach dem Aushärten größtenteils noch lichtempfindlich. Das kann zum Vergilben und Verspröden führen. Das einseitig dem Sonnenlicht ausgesetzte Teil zeigt auf der linken Seite diesen Effekt.

Der Stereolithografie-Markt heute

Seit vielen Jahren ist Stereolithografie eine etablierte 3D-Druck-Technologie. Anlagenhersteller finden sich in allen Weltregionen. Gängige Stereolithografieanlagen werden mit UV-Laser bei einer Wellenlänge von üblicherweise 355 (und auch 385) Nanometern betrieben. Die heutigen Laser und Optiken/Galvanometer werden kontinuierlich weiterentwickelt, auch um die Lichtintensität während des Bauprozesses variieren zu können. Heute können unterschiedlichste Materialien verarbeitet werden, wie etwa Epoxide und Akrylate, wenn die Fotoinitiatoren auf die korrespondierende Wellenlänge abgestimmt sind. Epoxide haben eine geringere volumetrische Schrumpfung beim Aushärten als Akrylate und somit weniger Verzug. Seit Mitte der 90er-Jahre wird an hybriden Materialien, zusammengesetzt aus Akrylaten und Epoxiden, durch Firmen wie DSM Somos/Stratasys (ehemals DuPont und JSR) geforscht, um günstige Eigenschaften beider Materialsysteme miteinander zu kombinieren. Die Entwicklung von Hybriden und Composites wird derzeit wieder intensiviert. Ziel ist weiterhin die Verbesserung der Abbildegenauigkeit und die Nachbildung von thermoplastischen Eigenschaften. Mittels akustischer und elektromagnetischer Felder können die Ausrichtung und Verteilung von Karbon- oder Glasfasern manipuliert werden. Vielleicht lassen sich so bald unterschiedliche Festigkeiten, Steifigkeiten und Leitfähigkeiten abhängig von der Konzentration der Füllstoffe im Bauteil einstellen?

Industrielle Einsatzfelder sind wegen der erzielbaren Oberflächenqualität und Genauigkeit medizintechnische Anwendungen aus der Dentaltechnik (Modelle und Alignerformen) und direkt gedruckte „Im-Ohr“-Hörgeräte und Otoplastiken. Damit bedient die Stereolithografie eine der größten Serienanwendungen in der Additiven Fertigung überhaupt. Feingussurmodelle, Werkzeugeinsätze und technische Kleinserien, z.B. im Bereich der Fluidik, mit abgestimmten Materialien für den jeweiligen Einsatzzweck sind prädestiniert für die Stereolithografie. Mit diesen Materialabstimmungen können nicht nur farbliche Auslegungen realisiert werden, sondern auch spezifische Eigenschaften wie Bruchdehnung, chemische Resistenz oder Lebensmittelzulassung individuell auf die Kundenanforderung eingestellt werden. Im Gegensatz zu thermoplastischen Materialien kann diese Individualisierung auch für Kleinserien schon praktikabel und wirtschaftlich sein. Individuelle Materialabstimmung funktioniert natürlich nur dann, wenn der Hersteller ein offenes System anbietet und so Kunden verschiedene Materialien unterschiedlicher Lieferanten einfüllen können. Materialkombinationen werden bereits zu einem bedeutenden Forschungsgegenstand für zukünftige Anwendungen. Erste Paper berichten von dem Wechsel von Materialien während des Bauvorgangs. Wir stellen uns vor, dass eines Tages elektrisch leitende mit isolierenden Materialien oder Werkstoffe unterschiedlicher Viskosität und Eigenschaften so miteinander kombiniert werden. Die Fertigung von „Molded Interconnected Devices“ (kurz MIDs) als elektronische Bauteile oder Baugruppen mit unterschiedlichen mechanischen Funktionen, zum Beispiel dämpfend und fest, würde so in einem Verfahrensschritt möglich werden. Dadurch wird sich der 3D-Druck immer weiter von anderen Herstellungsverfahren emanzipieren.

Die sogenannten „Supports“ sind nach wie vor einer der größten Nachteile der Technologie: Zur Anbindung an die Plattform und bei Überhängen müssen aus dem gleichen Material Stützstrukturen an die eigentlichen Teile angebunden werden. Diese werden nachträglich mechanisch entfernt, was der Automatisierung des Prozesses entgegensteht oder sie zumindest erschwert. Zur Vermeidung von Stützgeometrien gab es schon einige Ansätze. Beispielsweise wurde versucht während des Druckprozesses die Dichte des flüssigen Monomers zu erhöhen, damit die ausgehärteten Teile quasi in einem hochviskosen Gel „eingefroren“ werden. Aber bisher konnte sich nichts durchsetzen. Die Prozessautomation bei der Beschickung der Plattform und späteren Entnahme der Teile macht allerdings weiter Fortschritte mit dem Ziel, die Stückkosten stetig zu reduzieren.

Stereolithografieteile zeichnen sich durch hohe Präzision und hervorragende Oberflächengüte aus. Auch seitens der Materialien gibt es mittlerweile eine große Bandbreite für unterschiedlichste Anwendungen. (Bild: 1zu1 Prototypen GmbH & Co KG/Darko Todorovic Fotografie)

Stereolithografieteile zeichnen sich durch hohe Präzision und hervorragende Oberflächengüte aus. Auch seitens der Materialien gibt es mittlerweile eine große Bandbreite für unterschiedlichste Anwendungen. (Bild: 1zu1 Prototypen GmbH & Co KG/Darko Todorovic Fotografie)

Auch als Urmodell für den Vakuumguss eignen sich Stereolithografieteile besonders gut. 
(Bild: 1zu1 Prototypen GmbH & Co KG/Darko Todorovic Fotografie)

Auch als Urmodell für den Vakuumguss eignen sich Stereolithografieteile besonders gut. (Bild: 1zu1 Prototypen GmbH & Co KG/Darko Todorovic Fotografie)

Von der Stereolithografie zur Revolution im 3D-Druck

Die Stereolithografie ist die erste 3D-Druck-Technik, aber sie ist noch lange nicht überholt oder am Ende ihrer Entwicklung. Neue interessante Märkte für die Kleinserienfertigung werden mit ihr erschlossen. Nicht zuletzt, weil die Kosten für Anlagen, Material und den gesamten Prozess durch Wettbewerb und Innovation weiter abnehmen. Sie war die disruptive Ursprungstechnologie, die die Tür zu einer neuen Fertigungsmethode öffnete. Die Additive Fertigung war in 2022 für einen Umsatz von über 20 Milliarden US Dollar verantwortlich. Chuck Hull hatte sich wohl 1984 nicht träumen lassen, welche Art von Neuerung in der Fertigung er damals in Gang setzte. Dabei war das Jahr „1984“ literarisch durch George Orwell eigentlich mit Überwachung und Gewaltmonopol besetzt. Chuck Hull hat in der Fertigung aber das exakte Gegenteil ausgelöst. Er hat die Fertigung regionalisiert und demokratisiert. Durch immer weiter sinkende Preise kann mittlerweile jeder zu einem Hersteller von Teilen werden, ohne dafür vorab in Werkzeuge und Formen investieren zu müssen. Wenn das keine Revolution ist!

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