Rosswag AddiMap: Schluss mit Parameterpoker
Größer, schneller, komplexer – die Anlagen für das Laser Powder Bed Fusion-Verfahren haben sich in den letzten Jahren weiterentwickelt. Aber können die Anwender hier auch mithalten und weiterhin für jede Applikation und jeden neuen Werkstoff den optimalen Parametersatz selbst qualifizieren? Oder ist es nun Zeit für die AM-Community, die Parameter-Karten offen auf den Tisch zu legen und sich auf die industriellen Anwendungen zu konzentrieren?
Zylinderkopf aus AlSi10Mg: Gefertigt mit hochproduktivem Parametersatz für großvolumige Bauteile.
Gregor Graf
Head of Engineering und Initiator der AddiMap Plattform
„Der AddiMap Marktplatz ist eine oft alternativlose Abkürzung auf dem Weg zum optimierten Parametersatz. Damit können sich alle Anwender zukünftig mehr auf die Entwicklung von industriellen Applikationen fokussieren, anstatt wochenlang Dichtewürfel zu drucken.“
Als Nutzer von LPBF-Anlagen gibt es viele Herausforderungen und Startschwierigkeiten. Aber sobald die Hardware mal läuft, beginnt die eigentliche Arbeit der Applikationsentwicklung und kontinuierlichen Optimierung. So war das auch bei Rosswag Engineering, einer Division des Schmiedeunternehmens Rosswag GmbH, welche bis heute über 60.000 Metallbauteile aus mehr als 40 Werkstoffen mit den eigenen Metall-3D-Druckern hergestellt hat.
Kühlkörper aus 316L: Gefertigt mit Parametersatz für filigrane Strukturen.
Die Crux mit den Parametern
„Ein wichtiger Aspekt dabei sind die verwendeten Prozessparameter zur Steuerung der Laser hinsichtlich beispielsweise Geschwindigkeit, Leistung und Belichtungsstrategie“, so Philipp Schwarz, Business Development Manager. Mit der Installation der LPBF-Anlage bekommt man vom Systemlieferanten meist ein paar generelle Parametersätze für die Standardwerkstoffe mitgeliefert. Beispielsweise einen 30 µm Parametersatz für filigrane Bauteile und einen 50 µm Parametersatz mit höherer Aufbaurate für großvolumige Bauteile.
Je nach Maschinentyp können jedoch meist über 100 verschiedene Prozessparameter variiert werden. Hinzu kommen vielfältige weitere Einflussgrößen auf die Produktivität sowie Bauteilqualität, wie beispielsweise die Vorheiztemperatur, die Metallpulvereigenschaften oder die Gasströmung. Diese und viele weitere Parameter sind hinsichtlich der thermischen Historie der erzeugten Bauteile für jeden Werkstoff und für jeden Maschinentyp individuell zu qualifizieren. Um die Möglichkeiten des Metall-3D-Drucks voll auszuschöpfen, können sogar individuelle Parameter für die spezifische Applikation entwickelt werden.
AddiMap bietet den Anwendern einen einfachen Zugang zu Parametersätzen für den LPBF-Prozess. Es können aber auch eigene Parametersätze darin angeboten werden.
Neuer Baujob – neue Parameter?
So existieren beispielsweise optimierte Parametersätze mit einer hohen Aufbaurate zur Herstellung großvolumiger Bauteile ohne anspruchsvolle Belastungen. Hier zählt vor allem die maximal mögliche Produktivität für minimale Fertigungskosten. Andere Bauteile benötigen eine besonders gute Oberflächengüte in innenliegenden Kanälen oder wärmeübertragenden Strukturen, da diese nachträglich nur mit hohem Aufwand bearbeitet werden können. Zusammenfassend sieht sich jeder Anwender der LPBF-Technologie, welcher seine Anlagen nicht wiederkehrend mit den gleichen Bauteilen und Aufträgen auslasten kann, auch aufgrund der technologischen Entwicklung mit einer exponentiell steigenden Komplexität konfrontiert. Wöchentlich werden beispielsweise neue Werkstoffe für den LPBF-Prozess qualifiziert, Multi-Laser-Anlagen und neue Strahlprofile verändern die bisher bekannten thermischen Randbedingungen und neue Prozessstrategien reduzieren die Notwendigkeit von Stützstrukturen.
In der AddiMap-Umgebung werden die verfügbaren Parametersätze mit dem jeweiligen Status, grundlegenden Schwerpunktzielsetzung des Parametersatzes und Preis aufgelistet.
Bisherige Lösungsansätze
Die Komplexität dieser mehrdimensional abhängigen Einflussgrößen macht die Qualifizierung neuer oder optimierter Prozessparameter zeit- und kostenintensiv und verlangt viel Know-how vom Anwender. Es gibt bisher hauptsächlich drei verschiedene Lösungsansätze, um neue Parameter zu qualifizieren.
Erstens die Eigenentwicklung: Durch langwierige und teure Parameterstudien mit umfangreicher Versuchsplanung oder Trial & Error werden die Parameter iterativ über mehrere Wochen optimiert. Durch Erprobung und Analyse im eigenen oder externen Labor werden Kennwerte ermittelt und mit den Parametermodifikationen korreliert. Dieses Vorgehen kann abhängig von Versuchsumfang, Zielstellung und statistischer Absicherung einen Invest von 10.000 bis über 50.000 Euro erforderlich machen und ist auch immer mit dem Risiko des Scheiterns verbunden.
Zweitens die Beauftragung: Es wird ein spezialisierter Dienstleister oder der Anlagenhersteller mit der Qualifizierung beauftragt, welcher einige Wochen oder Monate für die Versuche und Auswertungen benötigt. Die Kosten können abhängig von der Zielstellung und dem Versuchsumfang dabei bis in den Bereich über 100.000 Euro betragen.
Und drittens die öffentlich geförderten Projekte: Die Qualifizierung neuer Prozessparameter oder Werkstoffe über öffentlich geförderte Projekten ist meist sehr zeitaufwendig und mit vielen bürokratischen Hürden verbunden. Mit der Wartezeit auf die Bewilligung und der anschließenden Projektlaufzeit kann ein Qualifizierungsprozess über mehrere Jahre andauern. „Wir haben den Bedarf am Markt gesehen, um Prozessoptimierungen schneller, günstiger und verlässlicher umzusetzen und damit das volle Potenzial der Technologie zu nutzen“, so Philipp Schwarz.
In der Detailansicht bekommt der Anwender zusätzlich Informationen zu den erzielbaren Materialeigenschaften und der Herkunft des Parametersatzes.
Das Rad nicht ständig neu erfinden
Mit der neuen Plattform AddiMap gibt es nun ab November 2022 eine Alternative zu den aufgezeigten Lösungsansätzen für die Qualifizierung und Optimierung von Prozessparametern. Auf dem AddiMap-Marktplatz lassen sich dabei weltweit zum ersten Mal Prozessparameter mit den zugehörigen und experimentell ermittelten Materialdaten digital handeln.
Beim Kauf bereits existierender Daten liegt das Alleinstellungsmerkmal auf der Hand: Die Versuche sind bereits abgeschlossen und der Käufer kann daher auf validierte Daten anderer Anwender für einen Bruchteil der eigenen Entwicklungskosten zurückgreifen. Viele Experimente zur Parameteroptimierung wurden von den unzähligen Firmen und Forschungsinstituten in den letzten Jahren oft sogar mehrfach unabhängig voneinander durchgeführt. Warum sollte deshalb nicht auf diese Ergebnisse zurückgegriffen werden, um damit schneller und kosteneffizienter zum Ziel zu kommen?
Dafür kann auf dem Marketplace direkt nach dem gewünschten Parameterprofil für die eigene Anlage und das verwendete Material gesucht werden. Zu jedem Parametersatz werden zugehörige Prozessdaten zum Metallpulver oder zur Wärmebehandlung und die entsprechenden experimentellen Ergebnisse aus Porositätsanalysen oder Zugversuchen mitgeliefert. Der Wert eines Parametersatzes bemisst sich dabei vor allem nach der Qualität und Quantität der zugehörigen Material- und Prozessdaten.
Ein Beispiel ist die Steigerung der Aufbaurate um über 80 % im Vergleich zu den Standardparametern des Anlagenherstellers. Dieser Parametersatz steht von Beginn an auf dem AddiMap Marktplatz zum Verkauf. Bei 80 % höherer Produktivität der Anlage und damit fast doppeltem Output an Bauteilen ist die Amortisation von den 7.500 Euro Investitionskosten oftmals schon nach wenigen Baujobs gegeben. Also warum weitaus mehr Zeit und Geld in die eigene Entwicklung stecken, wenn der benötigte Parametersatz schon dutzendfach am Markt qualifiziert wurde?
Eigene Ergebnisse vermarkten
Auch die Anbieterseite der Plattform ist schnell erklärt: Viele Firmen und Institute besitzen einen über Jahre angesammelten Datenschatz in Form von Parametersätzen und Materialdaten. Doch ein Großteil dieser Daten liegt ungenutzt auf den Servern, weil der passende Kunde fehlt oder der eigene Fokus gerade auf anderen Anwendungen oder Werkstoffen liegt. Über den AddiMap Marktplatz können diese sonst unproduktiven Daten nun monetarisiert werden. Durch den offenen Plattformansatz werden ohne eigene Aufwände die passenden Nutzer selbst für spezielle Werkstoffe oder Prozessparametersätze gefunden. Dies ermöglicht die Finanzierung vergangener Entwicklungen und bietet neue Erlösquellen als Chance für erfahrene Anwender.
formnext: Halle 12.0, D21
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