gastkommentar

VDI Verein deutscher Ingenieure VDI: (Kon)fusion der Begriffe

Derzeit gibt es für gleiche additive Fertigungsverfahren ganz unterschiedliche Bezeichnungen. Das ist nicht nur in Produktflyern und in Fachartikeln festzustellen, sondern sogar in der technischen Regelsetzung. Die Terminologie von VDI 3405, um die im VDI-Fachausschuss „Additive Fertigungsverfahren“ intensiv gerungen wurde, und die von DIN EN ISO/ASTM 52900, die eine Übersetzung der englischsprachigen ISO/ASTM 52900 ist, stimmen nicht überein. Durch die Revision von DIN EN ISO/ASTM 52900 gibt es eine zweite Chance, die Begrifflichkeiten der additiven Fertigungsverfahren im Deutschen geradezurücken. Damit dies gut funktioniert, wird die Zusammenarbeit von VDI und DIN weiter intensiviert. Dadurch sollen zudem Themenüberlappungen vermieden, Dopplungen abgebaut und im VDI erarbeitete Ergebnisse mit der Unterstützung von DIN in die internationale technische Regelsetzung eingebracht werden. Von Dr.-Ing. Erik Marquardt, VDI e.V.

Dr.-Ing. Erik Marquardt, zuständig für den Bereich
Technik und Wissenschaft beim Verein Deutscher Ingenieure e.V.

Dr.-Ing. Erik Marquardt, zuständig für den Bereich Technik und Wissenschaft beim Verein Deutscher Ingenieure e.V.

Vor ein paar Wochen musste ich zugeben, dass ich von dem Kürzel aus drei Buchstaben, das für ein bestimmtes additives Fertigungsverfahren steht, noch nie etwas gehört hatte. Handelt es sich bei den drei Buchstaben, nennen wir sie XYZ, um ein neues Verfahren, das wir in VDI 3405 „Additive Fertigungsverfahren; Grundlagen, Begriffe, Verfahrensbeschreibungen“ nicht berücksichtigen konnten, weil es bei der Veröffentlichung 2014 noch nicht am Markt war? Oder ist XYZ das eingetragene Warenzeichen eines bestimmten Herstellers? Oder steht XYZ für eine Modifikation von ABC (auch dieser Name ist frei erfunden), die so fundamental erscheint, dass sie einen eigenen Namen verdient? Oder stammt die Abkürzung für das Verfahren aus DIN EN ISO 17296-2 „Additive Fertigung; Grundlagen; Teil 2: Überblick über Prozesskategorien und Ausgangswerkstoffe“?

Ich hoffe, dass Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, spätestens jetzt etwas merkwürdig vorkommt. Im vorigen Absatz werden zwei technische Regeln, nämlich VDI 3405 und DIN EN ISO 17296-2 genannt – und diese verwenden unterschiedliche Begriffe?

Ja, so ist es. Das fängt schon im Titel der beiden Regelwerke an. Die „Verfahrensbeschreibungen“ von VDI 3405 finden sich als „Prozesskategorien“ in DIN EN ISO 17296-2 wieder. Wenn man sich die einzelnen Verfahren in VDI 3405 anschaut und mit den Prozesskategorien in DIN EN ISO 17296-2 vergleicht, wird man feststellen, dass es sich beim Laser-Strahlschmelzen nach VDI 3405 und beim laserbasierten Pulverbettschmelzen nach DIN EN ISO 17296-2 praktisch um die gleichen Verfahren handelt. Mit dem Norm-Entwurf von DIN EN ISO 52911-1 von Dezember 2017 kommt noch die „laserbasierte Pulverbettfusion von Metallen“ hinzu. Bei beiden Normen ist die „powder bed fusion“ von ISO/ASTM 52900, die mittlerweile auch als DIN EN ISO/ASTM 52900 „Additive Fertigung; Grundlagen; Terminologie“ vorliegt, schlicht unterschiedlich übersetzt worden. Im Bild versuche ich, die Entwicklung der Terminologie am Beispiel des Laser-Strahlschmelzens grafisch zusammenzufassen.

Durch den revidierten Entwurf von DIN EN ISO/ASTM 52900 bekommt die deutschsprachige Community der additiven Fertigungsverfahren, also Sie, liebe Leserinnen und Leser, eine zweite Chance, was die Begrifflichkeiten im Deutschen angeht. Prüfen Sie den Norm-Entwurf nach seiner Veröffentlichung genau und formulieren Sie innerhalb der Einspruchsfrist Kommentare dazu.

Wenn die endgültige Norm, sei es mit oder ohne Ihre Einsprüche, in der zweiten deutschsprachigen Revision am Markt ist, ist diese Terminologie erst einmal gesetzt. Dann hilft Ihnen auch die Richtlinie VDI 3405 nicht mehr. Wir schreiben VDI-Richtlinien, um die internationale Regelsetzung zu beschleunigen, nicht um sie zu behindern oder um Alternativen zu verbreiten.

VDI-Richtlinien und DIN-Normen zu AM: Wie hängen diese zusammen?

VDI 3404 war 2009 der erste technische Standard weltweit zu Additive Manufacturing (AM). VDI 3404 erschien, wie alle aktuellen VDI-Richtlinien, in einer zweisprachigen Ausgabe (deutsch/englisch) und wurde über DIN bei ISO als Work Item Proposal eingereicht. Parallel wurde VDI 3404 aktualisiert, ergänzt und 2014 als VDI 3405 „Additive Fertigungsverfahren; Grundlagen, Begriffe, Verfahrensbeschreibungen“ veröffentlicht. Die Themen von VDI 3404/VDI 3405 wurden nicht eins zu eins in eine Norm aufgenommen – vielmehr wurden die Themen auf vier Normen verteilt und von den Experten im ISO-Gremium weiter ausgearbeitet. Der Einfluss von VDI 3404 und VDI 3405 findet sich in außer in den schon genannten DIN EN ISO/ASTM 52900 und DIN EN ISO 17296-2 noch in den Normen DIN EN ISO 17296-3:2016-1: „Additive Fertigung; Grundlagen; Teil 3: Haupteigenschaften und entsprechende Prüfverfahren“ und DIN EN ISO 17296-4:2016-12 „Additive Fertigung; Grundlagen; Teil 4: Überblick über die Datenverarbeitung“. Beispielsweise greift Abschnitt 5 in DIN EN ISO 17296-3 die Themen von Abschnitt 8 in VDI 3405 auf. Sowohl Abschnitt 6 in VDI 3405 als auch die Norm DIN EN ISO 17296-4 behandeln die Schritte der Datenverarbeitung.

Ganz eindeutig sind nicht nur die Themen, sondern auch die wesentlichen technischen Aussagen von VDI 3405 Blatt 3 „Additive Fertigungsverfahren; Konstruktionsempfehlungen für die Bauteilfertigung mit Laser-Sintern und Laser-Strahlschmelzen“ in DIN EN ISO 52911-2:2017-12 (Entwurf) „Additive Fertigung; Technische Konstruktionsrichtlinie für Pulverbettfusion; Teil 2: Laserbasierte Pulverbettfusion von Polymeren“ und DIN EN ISO 52911-1:2017-12 (Entwurf) „Additive Fertigung; Technische Konstruktionsrichtlinie für Pulverbettfusion; Teil 1: Laserbasierte Pulverbettfusion von Metallen“ eingeflossen. VDI 3405 Blatt 3 wird an vielen Stellen beider Norm-Entwürfe zitiert. Entsprechend werden im VDI bereits die Vorbereitungen für eine Zurückziehung von VDI 3405 Blatt 3 mit dem Erscheinen der endgültigen Normen getroffen.

Zu vielen Teilaspekten von Additive Manufacturing sind weitere VDI-Richtlinien erschienen: Einerseits sind das Ergebnisse aus Ringversuchen, in denen herstellerübergreifend für verschiedene Werkstoffe Materialkenndaten wie Kunststoffe: VDI 3405 Blatt 1 und VDI 3405 Blatt 1.1 sowie Metalle: VDI 3405 Blatt 2, VDI 3405 Blatt 2.1 und VDI 3405 Blatt 2.2 ermittelt wurden. Andererseits sind es die Richtlinien zur Pulvercharakterisierung (Kunststoffe: VDI 3405 Blatt 1.1 und Metalle: VDI 3405 Blatt 2.3) und die Richtlinien zur Arbeitssicherheit (Metalle: VDI 3405 Blatt 6.1: Erscheint im Juni 2018!), sowie die Richtlinien mit Gestaltungsempfehlungen für weitere Verfahren wie Elektronen-Strahlschmelzen: VDI 3405 Blatt 3.5.

Die VDI-Fachausschüsse beraten regelmäßig, welche Inhalte von VDI-Richtlinien über DIN bei ISO als Arbeitsthemen vorgeschlagen werden sollen. Auch aus anderen Ländern erhält das zuständige ISO/TC 261 viele Vorschläge für neue Normungsthemen. Es ist eine ständig wachsende Herausforderung, den Überblick zu behalten, welche Projekte derzeit bei welchem Gremium in Bearbeitung sind. Insbesondere, wenn ein VDI-Fachausschuss die Arbeit an einem neuen Thema beginnt, muss sorgfältig geprüft werden, ob dieses nicht bereits von einer internationalen Arbeitsgruppe bearbeitet wird.

Überlappungen vermeiden

Um technische Standards mit Themenüberlappungen von vorneherein zu vermeiden und entstandene Dopplungen abzubauen, ist ein intensiver Austausch zwischen den VDI-Fachausschüssen, die bei der inhaltlichen Erarbeitung von technischen Regeln zu AM in Deutschland führend sind, und den DIN-Gremien, die internationale Standards zu AM in nationale Normen überführen, notwendig. Dieser Austausch hat schon immer stattgefunden und wird derzeit noch intensiviert.

VDI und DIN arbeiten gemeinsam daran, die Konfusion der Begriffe zu beenden. Das alleine reicht aber nicht. Wenn sich die Experten aus Ihrer Mitte auf eine Terminologie geeinigt haben, das Ergebnis als Entwurf der DIN EN ISO/ASTM 52900 veröffentlicht wird, die dort festgelegten Begriffe per Einspruchsverfahren öffentlich diskutiert werden und anschließend als neue DIN EN ISO/ASTM 52900 verfügbar ist, kommt es darauf an, dass alle, die als Anwender, Anlagenbauer, Dienstleister sowie in der Aus- und Weiterbildung im Bereich der additiven Fertigung aktiv sind, diese Begriffswelt im täglichen Sprachgebrauch und in ihren Publikationen anwenden. Nur so kann die Konfusion wirklich beendet werden.

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