OST-Ostschweizer Fachhochschule CREAMELT: Von der Skipiste in den 3D-Drucker

In Zusammenarbeit mit dem Institut für Werkstofftechnik und Kunststoffverarbeitung (IWK) an der Schweizer Hochschule für Technik Rapperswil (HSR) und der ARGO Werkstätte für Menschen mit Behinderung in Davos konnte eine neue Verwendung für alte, zerlegte und geschredderte Skischuhe gefunden werden. Auf Basis von Studienarbeiten an der HSR und internen Entwicklungen am IWK wurde ein elastisches 3D-Drucker-Filament aus 100 % recycelten Skischuhen bis zur Marktreife entwickelt, welches heute unter der Marke CREAMELT® vertrieben wird. Von Prof. Daniel Schwendemann, Hochschule für Technik Rapperswil

Die ARGO Werkstätte in Davos betreibt seit fast 25 Jahren ein Skischuhrecycling, indem jährlich bis zu 8.000 alte Skischuhe zentral gesammelt werden, bevor sie in Handarbeit zerlegt und anschliessend zu Mahlgut verarbeitet werden. Bis vor einigen Jahren wurden aus den gemahlenen Skischuhen unter Beihilfe eines zusätzlichen Bindemittels Bodenplatten gepresst. Aufgrund eines Totalausfalls der Plattenpresse und neuen, strengeren Brandschutzvorschriften konnten diese Bodenplatten nicht mehr produziert und verkauft werden. ARGO suchte deshalb neue Anwendungen für das Recyclingmaterial und wandte sich mit dieser Fragestellung 2012 an das IWK der Hochschule für Technik Rapperswil.

Sammelstelle für alte Skischuhe bei der ARGO

Sammelstelle für alte Skischuhe bei der ARGO

Herausforderung: Materialanalyse und Aufbau einer funktionierenden Materialtrennung

Vor der Zusammenarbeit mit der HSR wurde das alte Skischuhmaterial in der ARGO Behindertenwerkstätte lediglich nach Farbe sortiert. In der Anfangsphase lag daher das Hauptaugenmerk auf der Identifikation der verschiedenen Kunststofftypen, aus welchen die Skischuhe aufgebaut sind, sowie dem Aufbau einer funktionierenden Materialtrennung. Zudem wurden in ausführlichen analytischen Untersuchungen die rheologischen und mechanischen Materialeigenschaften bestimmt. Die Erkenntnis der Untersuchung war, dass Skischuhe aus sehr vielen unterschiedlichen Materialien bestehen, jedoch etwa die Hälfte der Materialien thermoplastisches Polyurethan (TPU) sind. Alle anderen Kunststoffarten werden mit einem Anteil unter 10 % eingesetzt. Daher fokussierte sich im weiteren Verlauf die Untersuchung auf das Hauptmaterial TPU. TPU ist ein thermoplastisches Elastomer, das elastische Eigenschaften aufweist und insbesondere auch sehr kälteschlagzäh ist.

Um eine möglichst hohe Aufbereitungsqualität dieses Recycling-TPUs zu erreichen, wurde bei der ARGO im Rahmen einer Bachelorarbeit eine Materialsortierung mittels Fourier-Transformations-Infrarotsprektrometrie (FT-IR) eingeführt. Dieses Trennverfahren basiert auf den unterschiedlichen Absorptionsverhalten diverser Kunststoffe im infraroten Bereich. Das Absorptionsverhalten kann mit dem FT-IR-Messgerät ermittelt und mit einer Datenbank abgeglichen werden, wodurch eine Bestimmung des Kunststofftyps möglich wird. Dadurch können die gewünschten TPU-Bestandteile vom Rest des Skischuhs sortenrein getrennt werden.

Aufbereitung des Mahlgutes zu Granulat

Damit das gesammelte TPU in einem späteren Prozessschritt prozessstabil weiterverarbeitet werden kann, muss das Mahlgut einem Aufbereitungsprozess im Compounder unterzogen werden. Dies geschieht im Kunststofftechnikum des IWKs unter der Leitung von Prof. Daniel Schwendemann. Dabei wird das Mahlgut aufgeschmolzen, homogenisiert, entgast, gesiebt und mittels Unterwassergranulierung direkt zu Granulat verarbeitet. Dieses Granulat kann anschliessend wieder in konventionellen Kunststoffvearbeitungsprozessen für Spritzguss- oder Extrusionsanwendungen eingesetzt werden. Das Sieben der Kunststoffschmelze nach dem Compoundieren ist ein wichtiger Prozessschritt, mit dem der restliche Anteil an Fremdstoffen entfernt und die Reinheit des TPUs nochmals erhöht wird.

Idee: Einsatz des TPU-Mahlgutes zur Herstellung von 3D-Druck-Filamenten

Im gleichen Zeitraum kamen auch die sogenannten 3D-Drucker in aller Munde und der Markt für bezahlbare Heim- und Hobbydrucker explodierte geradezu. Eines der hierbei meistbenutzten Verfahren ist das Fused Deposition Modeling, kurz FDM genannt. Bei diesem Verfahren wird ein endloser Kunststoffdraht in einer heißen Düse aufgeschmolzen und schichtweise in dünnen Lagen aufgetragen. Meist werden dabei die gängigen Standardmaterialien ABS und PLA verwendet. Um aber elastische Bauteile herstellen zu können, suchten viele Anwender nach einem elastischen Alternativmaterial, welches sich gut auf FDM-Druckern verarbeiten lässt. Deshalb kam die Idee auf, aus den Skischuhen ein flexibles 3D-Drucker-Filament zu entwickeln.

Da die verfügbaren Materialmengen des Skischuhrecyclings sehr gut mit den gewünschten Mengen für die Filamentherstellung korrelierten, wurde der Einsatz auf dem 3D-Drucker untersucht. Die ersten Druckergebnisse waren überraschend gut und es schien, dass einem schnellen Einsatz auf 3D-Druckern nichts im Wege steht. Allerdings zeigten sich dann doch noch einige Hürden. So kamen vor allem bei dunklen Farben Qualitätsprobleme durch kleine nicht aussortierte Gummipartikel hinzu, welche zu Verstopfungen in der 3D-Drucker-Düse führten. Deshalb musste der ganze Recycling-Prozess nochmal optimiert werden.

Compoundieranlage zur Aufbereitung von recycelten Skischuhen am IWK mit drei Projektmitarbeitern (v.l.n.r.: Alex Ramsauer, Florian Gschwend, Marc Akermann).

Compoundieranlage zur Aufbereitung von recycelten Skischuhen am IWK mit drei Projektmitarbeitern (v.l.n.r.: Alex Ramsauer, Florian Gschwend, Marc Akermann).

Entwicklung einer eigenen Filamentextrusionslinie

Um das Granulat zu Filamenten zu verarbeiten, wurde am IWK eine eigene Filamentextrusionslinie mit einem Einschneckenextruder entwickelt und aufgebaut. Die Kernstücke dieser Linie sind eine schmelzeflussoptimierte Extrusionsdüse, ein selbstkonstruiertes, kühl- oder beheizbares Wasserbad sowie zwei unabhängige Filamentwickler mit integriertem Lasermesssystem, welches es ermöglicht, die Qualität während der Produktion online zu prüfen und aufzuzeichnen. Mit Hilfe dieser Entwicklungen ist es möglich die Rundheits- sowie Durchmessertoleranzen der Filamente zu gewährleisten, welche für die weitere Verarbeitung auf den 3D-Druckern sehr wichtig sind. Auf der Anlage wird das aufbereitete Recycling TPU zu Filamenten im Durchmesser von 2.85 mm und 1.75 mm extrudiert und direkt auf Spulen gewickelt. Die Spulen werden anschliessend etikettiert, in Folie luftdicht verschweisst und in Kartons verpackt.

Recycling-Kreislauf für alte Skischuhe zum 3D-Drucker-Filament.

Recycling-Kreislauf für alte Skischuhe zum 3D-Drucker-Filament.

Extrusionslinie für die Filament-Extrusion (IWK).

Extrusionslinie für die Filament-Extrusion (IWK).

Aufbau der 3D-Druck-Marke CREAMELT

Um die Materialentwicklung zu vermarkten und damit der ARGO Werkstätte Arbeit und Einkünfte zu sichern, wurde 2015 die Marke CREAMELT gegründet sowie der Vertrieb über Zwischenhändler und den eigenen Onlineshop creamelt.com aufgebaut. Das Produkt aus den recycelten Skischuhen wurde CREAMELT TPU-R getauft. CREAMELT TPU-R ist bis heute das einzige Filament im Markt, welches zu 100 % aus recycelten Skischuhen hergestellt wird. Um der Marke eine größere Reichweite zu ermöglichen, wurde das Produktsortiment um ein selbstentwickeltes hochschlagzähes CREAMELT PLA-HI und ein transparentes, chemisch hochbeständiges CREAMELT COC erweitert.

3D-gedruckte Gussformen für Betonelemente aus TPU-R (Bild: ETH Zürich).

3D-gedruckte Gussformen für Betonelemente aus TPU-R (Bild: ETH Zürich).

Fertig ausgegossenes Teil aus den 3D-Gussformen.

Fertig ausgegossenes Teil aus den 3D-Gussformen.

Spannende Materialeigenschaften für neue 3D-Druck-Anwendungen

CREAMELT TPU-R ermöglicht den Anwendern von 3D-Druckern die Herstellung von belastbaren Objekten aus flexiblem Recyclingmaterial. So konnten für Anwendungen im Hobbybereich, wie zum Beispiel Autoreifen für Modellautos oder Luftfiltergehäuse für alte Mopeds sehr gute Teile gedruckt werden. Zudem sind viele Designer an dem Recyclingmaterial interessiert. Eine sehr interessante Anwendung sind Schalungselemente von Verbindungsknoten für filigrane Betonkonstruktionen, wie sie von der ETH Zürich in der Archtiektur-Forschung eingesetzt werden.

Weiterverarbeitung des CREAMELT TPU-R Filaments auf einer FDM-Maschine.

Weiterverarbeitung des CREAMELT TPU-R Filaments auf einer FDM-Maschine.

Prof. Daniel Schwendemann ist stellvertretender Institutsleiter an der Hochschule für Technik (HSR) in Rapperswil (CH) und Leiter für den Fachbereich Compoundierung/Extrusion am Institut für Werkstofftechnik und Kunststoffverarbeitung (IWK). Er betreut dort zahlreiche Projekte, ist Autor von einer beachtlichen Anzahl von Fachartikeln sowie Fachbüchern und beteiligt am Erwerb von wissenschaftlichen Auszeichnungen und Preisen.

Prof. Daniel Schwendemann ist stellvertretender Institutsleiter an der Hochschule für Technik (HSR) in Rapperswil (CH) und Leiter für den Fachbereich Compoundierung/Extrusion am Institut für Werkstofftechnik und Kunststoffverarbeitung (IWK). Er betreut dort zahlreiche Projekte, ist Autor von einer beachtlichen Anzahl von Fachartikeln sowie Fachbüchern und beteiligt am Erwerb von wissenschaftlichen Auszeichnungen und Preisen.

Internationale Auszeichnungen für CREAMELT TPU-R

Die beschriebene Entwicklung der gesamten Prozesskette vom Skischuh über das Mahlgut bis hin zum fertigen 3D-Druckfilament findet einen grossen Anklang und wurde in den letzten drei Jahren mit Auszeichnungen prämiert. Neben dem Materialica Gold Award 2017 und dem German Innovation Award Winner 2018 wurde 2019 der German Design Award „Special Mention“ gewonnen. Die Jury des German Design Awards Special Mention 2019 schreibt in ihrer Urteilsbegründung treffend: „Der aus alten Skischuhen recycelte Kunststoff beweist einmal mehr eindrucksvoll, dass nachhaltige, recycelte Ware technisch, funktional und ästhetisch neuer Neuware in nichts nachsteht.“

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