Schlagzähe Photopolymere

Polymere für hochpräzise und hochfeste Produkte aus generativer Herstellung: 3D-Druck und Additive Fertigung haben sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Zurückzuführen ist diese erfolgreiche Entwicklung vor allem auf den Übergang von „Rapid Prototyping“ hin zu „Additive Manufacturing“, auch im großflächigen industriellen Einsatz. Dieser industrielle Einsatz fordert aber auch immer neue Materialien mit besonderen Eigenschaften. Deshalb entwickelt man an der Technischen Universität Wien schlagzähe Polymere, die diesen Anforderungen gerecht werden.

DI Robert Gmeiner (links) und Prof. Jürgen Stampfl (rechts) am neu entwickelten 3D Drucker.

DI Robert Gmeiner (links) und Prof. Jürgen Stampfl (rechts) am neu entwickelten 3D Drucker.

Schlagzähe Polymere im Detail

• Zugfestigkeit 40 MPa
• Schlagzähigkeit (Charpy Test) >100 kJ/m²
• Bruchdehnung 40 %
• Temperaturbeständigkeit 100 °C

Die bereits erreichten Materialkennwerte können sich sehen lassen: Dadurch erlangen 3D-gedruckte Kunststoffbauteile erstmals die Qualität von Spritzgussteilen.

Seit 2013 ist die Branche weltweit um durchschnittlich 31 % pro Jahr gewachsen. Solche Wachstumsraten sind aber erst durch die Entwicklung von Anwendungen, die die Additive Fertigung (AF) in Richtung eines großflächigen industriellen Einsatzes bringen, möglich. Die AF wird so zu einer etablierten Fertigungstechnik. Aadditiv gefertigte Bauteile müssen im Zuge dieser Entwicklung immer anspruchsvollere Qualitätskriterien erfüllen, um für einen Einsatz im Alltag geeignet zu sein. Diese Anforderungen betreffen sowohl die Materialeigenschaften (mechanische, optische und funktionelle Eigenschaften) als auch geometrische Eigenschaften (Oberflächenqualität, Präzision). Natürlich darf auch nicht auf ökonomische Aspekte vergessen werden.

Herstellung von Hochleistungspolymeren im Labor.

Herstellung von Hochleistungspolymeren im Labor.

DI Robert Gmeiner
Geschäftsführer der Cubicure GmbH

„Mit der Bereitstellung schlagzäher Photopolymere lassen sich erstmals Stereolithographieteile herstellen, die von den Materialeigenschaften mit Spritzgussteilen vergleichbar sind.“

Polymere für den industrietauglichen 3D-Druck

Diese Herausforderung nachhaltig zu meistern ist die Grundintention der additiven Fertigungsindustrie. Die gemeinhin unter 3D-Druck zusammengefassten Technologien wollen die Palette der formgebenden Kunststoffverarbeitungsmethoden erweitern und versprechen mitunter schnelle Ergebnisse bei vergleichsweise niedrigen Einzelstückkosten.

Obwohl die Anzahl an verfügbaren „3D-Druckverfahren“ recht breit ist, bleibt der grundlegende Gedanke stets derselbe: Ein Bauteil (oder ein ganzer Produktionssatz an Bauteilen) wird additiv, also durch Materialzugabe im Schichtverfahren, aufgebaut. Die Form jeder Einzelschicht ist durch den Prozess individuell definierbar, wodurch (beinahe) beliebig komplexe Geometrien realisierbar werden. Den dadurch entstandenen neuen Möglichkeiten der geometrischen Formgebung wurde hierbei in der Vergangenheit besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt und so manch additives Verfahren hat bewiesen, dass es in Sachen Oberflächengüte und Detailgenauigkeit durchaus mit Spritzgusstechnologien mithalten kann.

Als besonders mächtiges Formgebungswerkzeug hat sich dabei die Stereolithographie erwiesen, ausgerechnet jenes Verfahren, welches in den 1980er Jahren die Entwicklung von additiven Produktionsverfahren erstmals in Gang setzte. Seit dieser Zeit wurden zahlreiche lithographische, also lichthärtende, Druckprozesse konzipiert und umgesetzt. Moderne Verfahren arbeiten mit Laser oder DLP (digital light processing) Systemen, welche eine hochpräzise selektive Belichtung der einzelnen Bauschichten ermöglichen und dadurch Objektdetails bis zu einer Auflösung von 10 µm umsetzen können.

Auch im Bereich der verarbeiteten Materialien, der Photopolymere, hat sich einiges getan, wobei hier nach wie vor die größte Schwäche der lichthärtenden Verfahren zu finden ist: Die unzureichende Materialbeständigkeit in Form von Sprödigkeit und mangelnder Temperaturbeständigkeit.

Beispiele für aus den neuen Photopolymeren hergestellten Teilen.

Beispiele für aus den neuen Photopolymeren hergestellten Teilen.

TU Wien gelingt Durchbruch

Es ist dieses „Dilemma des 3D-Drucks“, welches Prof. Jürgen Stampfl vom Institut für Werkstoffwissenschaft und Werkstofftechnologie der Technischen Universität Wien seit Jahren beschäftigt und welches er zu lösen mit seiner Forschungsgruppe angetreten ist. „Bis heute ist im Kunststoffbereich kein ökonomisch sinnvolles additives Formgebungsverfahren bekannt, welches der Oberflächengüte und Formgenauigkeit von Spritzgussteilen entspricht und gleichzeitig die technisch-mechanischen Anforderungen des Marktes an die Bauteile erfüllen kann. Eine realistische Möglichkeit sehen wir seit Kurzem im Bereich der Stereolithographie, da es uns an der TU Wien gelungen ist, neuartige Photopolymere zu entwickeln, die sowohl schlagzäh als auch temperaturbeständig sind“, so der Wissenschaftler. Um diesen Durchbruch zu erreichen, wird an der TU Wien mit bis zu 30 Personen institutsübergreifend und interdisziplinär an dieser und ähnlicher Herausforderungen gearbeitet.

Gemeinsam mit der Fachgruppe um Prof. Robert Liska vom Institut für Angewandte Synthesechemie entstehen laufend neuartige und vielversprechende Photopolymersysteme sowie begleitende chemische Produkte, wie etwa zur Polymerisation benötigte Initiator Moleküle. In der noch jungen Disziplin der additiven Fertigung sind neue Materialien alleine zu wenig. Nur durch die gleichzeitige Weiterentwicklung der vorhandenen stereolithographischen Drucktechnologien können revolutionäre Produktionsinnovationen entstehen. Denn es gilt: Neue Materialien lassen sich nicht automatisch mit der bestehenden Prozesstechnologie vereinen. Es ist dieses interdisziplinäre Umfeld an der TU Wien, in dem Chemiker, Maschinenbauer, Verfahrenstechniker, Physiker und Informatiker an der nächsten Revolution in der Kunststofftechnik arbeiten, aus dem bereits in der Vergangenheit beeindruckende Fortschritte zu vermelden waren, wie der erste Hochpräzisions-3D-Druck von Keramik, der nun von dem Spin-Off Lithoz in die industrielle Anwendung gebracht wird.

Jetzt konnte die TU Wien auf der Hannover Messe 2016 die ersten Details der neu entwickelten Photopolymere präsentieren: 3D-gedruckte Kunststoffteile mit hervorragender Bauteiloberfläche und einzigartigen mechanischen Eigenschaften. Die gezeigten Objekte weisen neben einer üblichen Zugfestigkeit von ca. 40 MPa eine Bruchdehnung von 40 % und eine Schlagzähigkeit von über 100 kJ/m² (Charpy) auf. Komplettiert werden diese Eigenschaften von einer bis dato unerreichten Temperaturbeständigkeit von knapp 100° C, welche einen industriellen Einsatz dieser Bauteile bis zumindest 80° C zulässt. Einziger Wermutstropfen: Die neuen Materialien lassen sich nicht mehr in herkömmlichen Stereolithographiemaschinen verarbeiten.

Mit Cubicure-Technologie lassen sich texturierte Oberflächen strukturieren. Entsprechend dem CAD-Modell links oben können beliebige Texturen, wie in den Detailaufnahmen abgebildet, 3D-gedruckt werden. (Quelle: A. De Blas Romero, A. Lantada, Universidad Politecnica de Madrid)

Mit Cubicure-Technologie lassen sich texturierte Oberflächen strukturieren. Entsprechend dem CAD-Modell links oben können beliebige Texturen, wie in den Detailaufnahmen abgebildet, 3D-gedruckt werden. (Quelle: A. De Blas Romero, A. Lantada, Universidad Politecnica de Madrid)

Entwicklung neuartiger Prozesstechnik

Auch an der Entwicklung neuer stereolithographischer Verfahren wurde erfolgreich gearbeitet. Im Jahr 2015 wurde das TU Wien Spin-Off Cubicure GmbH gegründet, welches sich um die Bereitstellung der benötigten Verfahrenstechnologie sowie die Marktreife der neuen Photopolymere kümmert. Cubicure ist es erstmals gelungen, die bestehende Stereolithographietechnik so weit voranzubringen, dass die neuen Photopolymere auch in höchster Auflösung verbaut werden können. Neben der Herstellung von Präzisionsbauteilen wird so auch die Fertigung von Bauteilen mit mikrotexturierten Oberflächen ermöglicht. Solche mikrostrukturierten Oberflächen ermöglichen die Herstellung von Bauteilen mit völlig neuen haptischen und oberflächenfunktionellen Eigenschaften.

Zwar sind die Details der Prozessführung zurzeit noch ein wohlgehütetes Geheimnis, doch wurde damit die Tür zu einer völlig neuen Photochemie aufgestoßen, welche die Verarbeitung eines breiten Feldes zusätzlicher Molekülsysteme zulässt. Die ersten bereits zur Verfügung stehenden Photopolymere können sich jedenfalls sehen lassen – hier liegt man im Bereich der mechanischen Eigenschaften ganz deutlich vor der Konkurrenz. Es war dieser letzte technologische Puzzlestein, der es nun ermöglicht, hervorragende physikalische und chemische Materialeigenschaften mit den Vorzügen der digitalen Produktion eines 3D-Drucksystems zu verbinden. Eines scheint jedenfalls sicher: Die Zeiten, in denen der Kunststoff-3D-Druck nur für die Herstellung von Vorserienbauteilen und Prototypen gut genug war, sind vorbei.

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