voxeljet VX4000: (Not) Just another print of a wall
Die Integration des 3D-Drucks in die Architektur ist keine Neuheit mehr. Auch die Vorteile, die die Additive Fertigung Architekten bietet, sind weithin bekannt. Komplexe Geometrien lassen sich leichter realisieren, Kosten werden eingespart und Funktionalitäten können direkt in Entwürfe und Baupläne integriert werden. Genau diese Funktionsintegration lässt sich sogar noch weiter vertiefen. Die Meristem-Wall, ein Projekt der schwedischen Universität Lund unter der Leitung der beiden innovativen Architekten David Andreen und Ana Goidea, levitiert Funktionsintegration auf eine neue Ebene, ohne dabei Kompromisse bei der Ästhetik einzugehen.
Die Meristem-Wall wurde auf der Biennale Architettura 2021 in Venedig ausgestellt. Komplexe Geometrien und Funktionsintegrationen machen das Bauteil ideal für den 3D-Druck. (Bild: bioDigital matter)
Die Meristem-Wall umfasst folgende Funktionen:
• Strukturelle Stützung des Eigengewichts (kann erweitert werden, um zusätzliche Lasten zu tragen)
• Integrierte Strom- und Beleuchtungsvorrichtungen für handelsübliche Geräte
• Integrierte Wasserleitungen unter Verwendung von Industriestandardgeräten (PEX-Rohre)
• Fenster
• Verteiltes Belüftungssystem zur Steuerung der Wärmespeicherung und des Feuchtigkeitsgehalts im Inneren der Wand. Eingebettete Aktoren und Sensoren für die Steuerung
• Regenwasserabfluss
• Eine Außenwandzone, die als vielfältiger Lebensraum für die Fauna dient.
• Luftfiltration
• Innere Gewebeoberfläche
Treffen Wissenschaft, Innovation und Kreativität aufeinander, entfaltet sich eine Troika, die nach Möglichkeiten der funktionalen Integration jenseits des Bekannten und Erprobten sucht. Die Meristem-Wall, ein Projekt der Architekten Ana Goidea und David Andreen, verkörpert genau diese Troika und steht damit symbolisch für die zukunftsweisende Virtualität der 3D-gedruckten Architektur.
Digital wurde die Wand im bioDigitalMaterielabor in Lund erstellt. (Bild: bioDigital matter)
Ana Goidea
Architektin an der schwedischen Universität Lund
„Die Möglichkeit, mit Technologien wie dem 3D-Druck komplexe und einzigartige Formen und Geometrien zu schaffen, eröffnet eine völlig neue Dimension ästhetischer, effizienter und unglaublich funktionaler Architektur. Und genau das wollen wir mit der Meristem-Wall zeigen.“
Meristem-Wall – eine Hommage an 3D-gedruckte Architektur
Eine lange Faszination für die Additive Fertigung war eine der Triebfedern, die David und Ana motivierte, etwas völlig Neues und noch nie Dagewesenes zu schaffen. Ein monolithisches Bauwerk, das nicht nur funktionale Teile wie Rohrleitungen für die elektrische Verkabelung und den Wasserdurchfluss enthält, sondern auch eine optimierte Oberfläche, die als Habitat für urbane Flora und Fauna dient sowie ein hochkomplexes Belüftungssystem, das es der Wand ermöglicht, auf kontrollierte Weise zu „atmen". Ein Projekt von solcher Komplexität und Innovationskraft ist perfekt für die Additive Fertigung geeignet.
„3D-gedruckte Architektur ist zurzeit ein heißes Thema, aber fast alle kommerziellen Anwendungen konzentrieren sich auf Effizienz, Geschwindigkeit und Kostenreduzierung von Bauprozessen“, erklärt David Andreen. „Wir sind der Auffassung, dass der 3D-Druck die Bauindustrie revolutionieren kann, aber das erfordert ein komplettes Neudenken sowohl des Was als auch des Wie.“ Seine kongeniale Mitstreiterin Ana Goidea fügt hinzu: „Die Möglichkeit, mit Technologien wie dem 3D-Druck komplexe und einzigartige Formen und Geometrien zu schaffen, eröffnet eine völlig neue Dimension ästhetischer, effizienter und unglaublich funktionaler Architektur. Und genau das wollen wir mit der Meristem-Wall zeigen.“
(Bild: bioDigital matter)
David Andreen
Architekt an der schwedischen Universität Lund
„Wir sind der Auffassung, dass der 3D-Druck die Bauindustrie revolutionieren kann, aber das erfordert ein komplettes Neudenken sowohl des Was als auch des Wie.“
En vogue: komplex, einzigartig, funktional
Die Architektur von heute mit der von vor 20 Jahren zu vergleichen wäre im Grunde das Gleiche, wie 20 Jahre alte Mobiltelefone mit den heutigen Smartphones zu vergleichen. Beide spielen in einer ganz anderen Liga. „Der 3D-Druck bietet der Bauindustrie zwei entscheidende Vorteile: Die Möglichkeit, Teile von hoher formaler Komplexität zu erstellen und die Tatsache, dass jedes produzierte Teil einzigartig sein kann. Es wird möglich, Gebäudehüllen zu schaffen, die das lokale Mikroklima passiv nutzen, indem sie Wärme und Feuchtigkeit speichern, Luftströme durch Konvektion antreiben und ähnliche Mechanismen nutzen“, erklärt Ana.
Durch die Kombination beider Vorteile haben Architekten heute die Möglichkeit, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Anstatt buchstäblich einen Quader aus Wänden zu bauen, zeigt Meristem, dass es möglich ist, Strukturen zu schaffen, die nicht nur den Bau eines Hauses unterstützen, sondern auch das Klima in und um das Haus herum beeinflussen.
Die Meristem-Wall wurde in 21 Einzelteilen auf einem VX4000 3D-Drucksystem von voxeljet in Sand gedruckt. Anschließend wird der unverdruckte Sand mittels Druckluft vom Bauteil entfernt. (Bilder: voxeljet)
Der Schaffungsprozess
Über zwei Jahre lang haben Ana und David an diesem Projekt gearbeitet. Digital wurde die Wand im bioDigitalMaterielabor in Lund erstellt. Sie basiert auf einer Reihe komplexer Algorithmen und Designprozesse, die von Ana und David selbst entwickelt wurden. In der Konzeptions- und Designphase basieren viele architektonische Projekte auf einem einzigen Algorithmus und sind letztlich auf die Logik dieses einen Algorithmus beschränkt, was die Möglichkeiten der Komplexität und Funktionalität einschränkt. David und Ana strebten bei der Meristem-Wall einen Ansatz an, bei dem die Wand von einem definierten Ausgangspunkt aus ihrer eigenen Logik in Bezug auf Funktion, Ausdruck und bestehende Bauweisen folgen sollte. Dazu benötigten sie eine große Anzahl von Algorithmen, die miteinander verbunden sind und Informationen weitergeben. Mit Hilfe moderner Modellierungssoftware und individueller Programmierung durch die beiden Architekten nahm die Meristem-Wall Gestalt an und stieß mitunter an die Grenzen von Hardware und Software, insbesondere bei der Größe der Daten. Aber am Ende waren die CAD-Daten bereit für den 3D-Druck.
Hier wartete die nächste Herausforderung: Mit maximalen Abmessungen von 1,25 x 2,1 x 0,7 Metern war die Wand zu groß für die meisten der vorhandenen additiven Fertigungssysteme. Schließlich wurde die VX4000 von voxeljet mit einem Bauraum von 4 x 2 x 1 Metern als der 3D-Drucker der Wahl für die Herstellung der Wand bestimmt.
„Für uns bestand die größte Herausforderung in der hohen Komplexität der feinen inneren Strukturen und Leitungen. Da wir in einem Sandbett drucken, bedeutet dies, dass wir nach dem Druckprozess den gesamten unverdruckten Sand aus den verklebten Strukturen entfernen müssen. Wenn wir also Strukturen mit Hohlräumen drucken, dann sind diese immer mit unverdrucktem Sand gefüllt“, erklärt Tobias Grün, Produktmanager bei voxeljet. „Um den Auspack- und Nachbearbeitungsprozess zu vereinfachen, haben wir die Wand in 21 Einzelteilen gedruckt, was die Nachbearbeitung und das Handling der Teile erheblich erleichtert. Die Daten wurden von David und Ana an den passenden Schnittpunkten geschnitten, so dass die Teile später zusammengesetzt werden können. Für uns war es ein großartiges Experiment, um herauszufinden, wie dünn wir die filigranen Strukturen drucken und gleichzeitig noch hinterher handhaben können. Mit diesem Projekt haben wir wirklich die Grenzen der Komplexität für unsere Technologie getestet.“
Da die voxeljet Binder Jetting-Technologie ursprünglich für den Metallguss entwickelt wurde, sind die gedruckten Teile nicht für den Endverbrauch bestimmt. Und da die Meristem-Wall ein paar Wochen später auf der Biennale in Venedig ausgestellt werden sollte, mussten sie stabiler und widerstandsfähiger sein. Sandhelden, ein Unternehmen aus der Nähe von Augsburg, hat sich auf genau solche Fälle spezialisiert. Die Überführung von 3D-Sanddruckteilen zu Endprodukten, die für Endanwendungen wie Designelemente, Konstruktionsteile, Innenarchitektur, Sanitärprodukte oder Kunst geeignet sind. „Ich habe noch nie ein Projekt wie dieses gesehen. Daher ging es für uns in erster Linie darum, dazuzulernen und die Grenzen auszutesten", sagt Laurens Faure, CEO von Sandhelden. „Wir sind auf individuelle Nachbearbeitung von 3D-gedruckten Teilen hoch spezialisiert. Wir stellen zum Beispiel viele Sanitärdesignprodukte, Skulpturen oder Gussformen her. Aber die Meristem-Wall war eine ganz andere Herausforderung für uns und etwas völlig Neues in Bezug auf Größe und Anwendung.“
Um die Teile in ihrer Stabilität und Festigkeit zu stärken, hat Sandhelden die Teile mit Epoxidharz tief infiltriert. Mit Wandstärken von filigranen 0,5 mm waren die Teile sehr empfindlich und leicht zu brechen. Durch die Infiltration erhielten die Teile eine wesentlich höhere Festigkeit, um ein Brechen während des Transports nach Venedig zu vermeiden und eine langfristige Stabilität während der Ausstellung zu gewährleisten. „Wir haben ca. drei Tage gebraucht, um die Wand vollständig mit Epoxidharz zu infiltrieren. Aber am Ende können wir sagen, dass wir mit dem Ergebnis sehr zufrieden sind. Vor allem der direkte 3D-Betondruck ist in der Baubranche und in der Architektur im Allgemeinen derzeit ein sehr großes Thema. Während sich für diese Technologie eher klassische Fassaden eignen, stellt der Betondruck, sobald etwas komplexere Geometrien oder Details ins Spiel kommen, keine geeignete Lösung mehr dar. Genau hier zeigt sich die Stärke des Binder Jettings. Große Teile können mit einer sehr hohen Präzision und Genauigkeit gedruckt werden, selbst bei sehr filigranen Details. Die Genauigkeit ist für den Markt eindeutig ausreichend. Daher eignet sich die Binder Jetting-Technologie besonders für all die Elemente, die mit klassischen Fertigungsverfahren entweder nicht oder nur mit großem Aufwand und Kosten hergestellt werden können.“
Wie geht es jetzt weiter?
Nachdem die Teile gedruckt, infiltriert und verpackt waren, machten sie sich auf den Weg nach Venedig, um auf der Architekturbiennale 2021 ausgestellt zu werden. Dort setzten Ana und David die einzelnen Elemente zu einer zusammenhängenden Wand zusammen. Mit einer Länge von 1,25 Metern und einer Höhe von 2,1 Metern war sie dort bis zum 21. November zu sehen.
„Das Ziel des Projekts ist es, zu zeigen, dass eine Gebäudehülle heute mit diesen Technologien hergestellt werden kann und dass die daraus resultierende Struktur einen erheblichen Mehrwert gegenüber einer herkömmlichen Wand hat“, schließt David. „Der 3D-Druck kann der Bauindustrie einen Weg in die Zukunft weisen, um bedeutende Marktchancen für 3D-gedruckte Gebäude zu schaffen, die reich an Ausdruck und Funktion und ökologisch nachhaltig sind.“
Die Meristem-Wall ist einzigartig. Das steht fest. Sie ist einzigartig in der Art und Weise wie sie entworfen wurde, einzigartig wie sie hergestellt und nachbearbeitet wurde und einzigartig in all ihren Funktionen und Fähigkeiten. Es ist alles andere als „nur ein weiterer Druck von einer Wand“. Das ist auch der Grund, warum David und Ana die Grenzen des generativen Designs und der Additiven Fertigung in der Architektur weiter erforschen und die Meristem-Wall vielleicht sogar von einem Einzelstück zu einem Produkt entwickeln werden.
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