interview
Arburg freeformer: Neue Strategien für die Additive Fertigung
Arburg ist dabei, das Thema Additive strategisch voranzubringen. Dazu wurde im August 2021 die Arburgadditive GmbH + Co KG gegründet, deren Geschäftsführer seit 1. Dezember 2021 Dr. Victor Roman ist. Er hat die Aufgabe, das AM-Geschäft bei Arburg stärker im Markt zu etablieren.
Wir werden den Fokus auf mehr Automation legen und darauf, deutlich schneller zu werden. Das heißt aber auch, die Komplexität der Maschinen zu reduzieren. Dr. Victor Roman, Geschäftsführer der Arburgadditive GmbH + Co KG
Herr Dr. Roman, als Geschäftsführer der neuen Arburgadditive kommt Ihnen die Aufgabe zu, das Thema Additive Fertigung für Arburg auf die nächste Ebene zu heben. Für Sie sind die ersten Monate vorbei – wie ist Ihr erster Eindruck?
Ich war 21 Jahre lang bei einem anderen Technologieunternehmen und habe nun bei Arburg ein super geführtes Familienunternehmen kennengelernt. Was hier mit Weitblick und Kontinuität auf die Beine gestellt wurde, ist beeindruckend. Das war auch der Grund für die Entscheidung, herzukommen.
Was für mich das Wichtigste ist, und das habe ich in diesen sieben Monaten auch selbst erleben dürfen: Bei Arburg sind Werte wie Respekt, Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit nicht nur auf dem Papier geschrieben, sondern werden richtig gelebt. Was das Unternehmen auszeichnet, ist eine sehr hohe Wertschöpfung und damit verbunden viel Know-how im eigenen Haus. Das hat zwei positive Aspekte: Erstens, man weiß, was man tut und wo man besser werden muss. Und zweitens kann man in Zeiten, in denen Zuliefer- oder Materialknappheit allgegenwärtig ist, gut reagieren.
Arburg bündelt das Thema Additive Fertigung und überführt es in ein eigenes Geschäftsfeld: die Arburgadditive GmbH + Co KG.
Lieferverfügbarkeit ist im Moment ein starkes Thema, aber hat man in den letzten eineinhalb Jahren nicht auch gemerkt, dass dies für die Additive Fertigung durchaus eine Chance ist?
Absolut. Die Additive Fertigung ist relativ flexibel im Produktionsprozess und ist im Gegensatz zu klassischer Fertigung oft nicht so ortsgebunden, vorausgesetzt natürlich, es stehen an verschiedenen Standorten 3D-Drucker zur Verfügung. Man kann sehr schnell agieren und reagieren und mittels Additiver Fertigung kurzfristig Bauteile bereitstellen. Das wird heute schon beispielsweise im Bereich Transportwesen bei der Bahn, in der Luft- und Raumfahrt und in der Medizintechnik gemacht.
Dr. Victor Roman hat eine Vision: Er wünscht sich Maschinen, die skalierbar sind. Mehrere Maschinen so durch Automatisierung zu verknüpfen, dass sie wie eine einzige große Maschine agieren. Immer mit dem Ziel, möglichst wirtschaftlich zu arbeiten.
Es steht also eine Technologie zur Verfügung, die in der Lage ist, Lücken zu schließen und Fertigung sinnvoll zu ergänzen. Ist das ein Grund für Arburg, das Thema Additive Fertigung zu bündeln und in ein eigenes Geschäftsfeld zu überführen?
Meiner Meinung nach ist dies ein konsequenter Schritt. Seit 2013 ist der Umsatz im AM-Business weltweit von einer Milliarde auf etwa 18 Milliarden gestiegen mit einer Prognose für 2030 von bis zu 100 Milliarden. Zusammen mit der Freiheit hinsichtlich Design, Materialien und Geometrie hat der AM-Markt ein Riesenpotenzial und das hat Arburg genau zur richtigen Zeit erkannt. Dieses Geschäftsfeld nach dem Kauf von innovatiQ in einer neuen Tochtergesellschaft zu bündeln, führt natürlich auch zu einer ganz anderen Transparenz. Und diese Transparenz am Markt halte ich für wichtig, um unsere Aktivitäten in der Additiven Fertigung nachhaltig voranzutreiben.
In der Vergangenheit waren die AM-Mitarbeiter bei Arburg verschiedenen Bereichen zugeordnet. Standen sie dadurch nicht so nah zueinander, wie es für ein gut funktionierendes AM-Business wichtig wäre?
So kann man das nicht sagen. Vielmehr arbeiteten Arburg und innovatiQ komplett eigenständig. An jeder Stelle wurde gute Arbeit geleistet. Nun sitzen organisatorisch alle unter einem Dach. Wir wollen damit stärker am gleichen Strang ziehen und Synergieeffekte zum Beispiel hinsichtlich der Entwicklungskompetenzen für Soft- und Hardware sowie im Vertrieb nutzen.
Was sind denn aus Ihrer Sicht die nächsten wirklich wichtigen Schritte?
Kurzfristig müssen wir deutlich machen, dass sich der Freeformer und die 3D-Drucker von innovatiQ ideal ergänzen und wir unseren Kunden ein Produktportfolio aus einer Hand bieten. Die Technologien werden wir hinsichtlich Qualität und Zuverlässigkeit der Maschinen weiter ausbauen, um noch mehr Kundenzufriedenheit zu schaffen und gleichzeitig den Bekanntheitsgrad von Arburgadditive deutlich zu erhöhen.
Wir wollen dazu nicht nur Maschinen anbieten, sondern auch Dienstleistungen. Wenn jemand bei uns Bauteile bestellen will, werden wir diese drucken und auch beim AM-gerechten Produktdesign unterstützen. Denkbar wäre auch, in Richtung Materialverkauf zu gehen – vor allem aus dem qualitativen Aspekt, um beispielsweise eine zertifizierte Qualität sicherstellen zu können. Wir richten also schon heute unser Produktportfolio für die Zukunft aus. Je nachdem, welche Märkte wir bedienen wollen, bedeutet das auch eine Fokussierung auf bestimmte Materialien.
Wird sich an der Produktpalette etwas tun? Wird es hier weitere Varianten geben? Wie sind hier die Ideen?
Für den Einstieg in das FDM-Verfahren haben wir einen sehr kompakten und einfach zu bedienenden Filamentdrucker von innovatiQ, der sich besonders gut für das Prototyping eignet. Im High-End-Segment werden wir bei den Freeformern bleiben und dort die industrielle Ausrichtung deutlich verstärken. Das bedeutet, dass wir den Fokus auf mehr Automation legen und darauf, deutlich schneller zu werden. Heißt aber auch, die Komplexität der Maschinen zu reduzieren. Wir brauchen Maschinen, die skalierbar sind. Auch in Richtung Künstlicher Intelligenz zu denken, gehört für mich dazu. Mehrere Freeformer so durch Automatisierung zu verknüpfen, dass sie wie eine einzige große Maschine agieren. Immer mit dem Ziel, möglichst wirtschaftlich zu arbeiten.
Zum Thema KI und Software/Steuerung ist das Know-how im Bereich Spritzguss bei Arburg in den letzten Jahren ja extrem gewachsen. Kann Arburg diesen Vorteil in der AM-Branche nutzen?
Ja natürlich, denn wir haben das Know-how ja im Haus. Wo wir auch einen richtigen Vorteil haben, ist unser Kundenportal „arburgXworld“. Mit Hilfe der App Processlog sind unsere Freeformer wirklich in der Lage, den ganzen Produktionsprozess festzuhalten – und das ist ein Muss für industrielle Maschinen. Hier bringe ich wieder das Thema KI ins Spiel: Wenn man den Prozess kontinuierlich kontrolliert und zu jedem Zeitpunkt die wesentlichen Fertigungsparameter mitprotokolliert und dann noch Ergebnisse etwa aus Festigkeitsprüfungen hinzufügt, könnte die Maschine künftig über KI dazulernen. Sie wüsste nach dem tausendsten Bauteil genau: Aha, wenn meine Temperatur in eine bestimmte Richtung geht, geht auch die Festigkeit in eine bestimmte Richtung. Aber da haben wir noch einen längeren Weg vor uns. Dazu brauchen wir Kooperationen und gute Leute. Daran arbeiten wir.
Wird innovatiQ ein Teil von Arburgadditive?
Ja, mit Arburgadditive bündeln wir alle unsere AM-Aktivitäten. Bis Jahresende wird der komplette Bereich Arburg Kunststoff-Freiformen in die neue Gesellschaft wechseln. innovatiQ bleibt am Standort bei München, berichtet aber direkt an mich. In diesem Kontext ist mein Ziel, Anfang 2023 mit einer klaren Organisation zu starten.
Wenn Sie sich den AM-Markt ansehen, wo sind da im Moment die größten Herausforderungen?
Eine klassische Frage. Ich sehe da drei Hauptthemen: Thema Nummer eins ist die Wirtschaftlichkeit. Das bedeutet niedrige Maschinenkosten, kurze Bauzeiten und hohe Qualität. Ziel ist, schon ab dem ersten Teil, das aus der Maschine kommt, die optimale Qualität zu erreichen.
Punkt zwei ist das Thema Materialien. Da gibt es zum einen die klassischen Kunststoffgranulate aus dem Spritzguss, die viele Unternehmen beibehalten möchten. Das ist natürlich ein Asset für unseren Freeformer. Auf der anderen Seite hat die Materialentwicklung im 3D-Druck eine Dynamik bekommen, wodurch immer neue Werkstoffe mit neuen Eigenschaften entstehen, besonders Richtung Filamente und Pulver. Hier braucht der Markt viel Aufmerksamkeit und wir brauchen für jede Anwendung das genau richtige Material.
Das dritte Thema wird meist vergessen, ist aber von enormer Bedeutung: die Ingenieure und deren Kompetenz. Die meisten Uni-Absolventen haben schon beim ersten Strich im Design die klassischen Herstellungsverfahren im Hinterkopf: Zerspanen oder Spritzguss. Wir brauchen aber Ingenieure, die gelernt haben, additiv zu denken. Das heißt, ich entwickle die Funktionalität des Bauteils. Und erst wenn die Funktionalität fertig definiert ist, wird das Verfahren gewählt, mit dem sich diese herstellen lässt. Man kann unter dem Motto „complexity for free“ mit der Additiven Fertigung auch extrem komplexe Strukturen darstellen, aber dafür braucht man auch die Leute, die in diese Richtung denken. Da wird noch zu wenig getan.
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