AKF und Freeformer entwickeln sich weiter
Gegenüber anderen Verfahren der additiven Fertigung liegt ein Vorteil des Arburg Kunststoff-Freiformens (AKF) und des Freeformers darin, kostengünstige, qualifizierte Standardgranulate zu funktionsfähigen Bauteilen verarbeiten zu können. Die Arburg-Experten entwickeln das innovative, offene System stetig weiter. Mit dem Ziel, die Potenziale des Verfahrens voll auszuschöpfen, werden gemeinsam mit Partnern und Hochschulen neue Anwendungsfelder erschlossen.
Große Potenziale für die Additive Fertigung mit Originalmaterial bietet die Medizintechnik. Exemplarisch fertigt ein Freeformer z. B. aus einem medizinischen PLA-Standardgranulat ein individuell angepasstes Implantat für Schädelknochen.
Industrie 4.0: Individualisieren mit dem Freeformer
Auf der Messe K 2016 veranschaulichte Arburg das Thema Industrie 4.0 am neuen, wegweisenden Praxisbeispiel „smarter“ Kofferanhänger: An der ersten Station produziert eine individuelle Turnkey-Lösung, bestehend aus einer Allrounder-Spritzgießmaschine und einer flexiblen, platzsparenden Roboterzelle, das Serienteil. Der Roboter montiert auf das fertige Spritzteil einen NFC-Chip, über den das Produkt Informationen speichern und kommunizieren kann. Im nächsten Schritt wählt der Besucher eine Grafik für das Design des Kofferanhängers aus und lässt seine elektronische Visitenkarte (vCard) erstellen. Die Auftragsdaten für den weiteren Produktionsablauf werden auf dem NFC-Chip gespeichert. Das online kundenspezifisch individualisierte Bauteil selbst wird damit zum Informations- und Datenträger, das sich an den einzelnen Stationen identifiziert und seinen weiteren Herstellprozess selbst steuert. Zudem erhält jeder Kofferanhänger eine eigene Website in der Cloud. Dort werden auch alle vom Arburg Leitrechnersystem ALS erfassten Prozess- und Qualitätsdaten archiviert. Mittels individueller Laserkennzeichnung werden dann die persönlichen Daten und der QR-Code der Visitenkarte (vCard) auf den Kofferanhänger aufgebracht. Im vierten Schritt individualisiert ein Freeformer den Kofferanhänger weiter, indem er die an der ersten Station ausgewählte Grafik aus dem Kunststoff TPE additiv in 3D aufträgt. Letzte Station auf der K 2016 war ein zentraler Infopunkt. Dort wurden die Vorteile und Geschäftsmodelle von Industrie 4.0 nochmals verdeutlicht. Beispiele sind die Rückverfolgbarkeit und weitere datengestützte Aktionen, wie etwa die Online-Bestellung von Broschüren, über den integrierten NFC-Chip im Kofferanhänger.
Um mit additiven Fertigungsverfahren industrielle Serienteile in möglichst optimaler Qualität zu erhalten, muss die Bauteilkonstruktion dem Verfahren und Herstellprozess gerecht werden. Ein weiteres großes Themenfeld ist die Vorhersagbarkeit von Qualitätsmerkmalen der in Losgröße 1 produzierten Teile, die von vielen variierbaren Slice- und Prozessparametern abhängen. Bei der Additiven Fertigung von „echten“ Funktionsbauteilen sind mechanische Werte wie Zug- bzw. Reißfestigkeit, Dichte oder auch Veränderungen in der Chemie des Ausgangsmaterials von entscheidender Bedeutung. In diesem Kontext erarbeitet Arburg in Kooperation mit namhaften Forschungseinrichtungen derzeit Fortschritte für den Freeformer und das AKF-Verfahren.
In rund 200 Stunden fertigt ein Freeformer additiv das Modell (1:16) „Kniehebel“ einer Spritzgießmaschine. Nach Auflösen der Stützstrukturen lässt sich das 738 Gramm schwere Bauteil über rund 30 Gelenke bewegen.
Forschungseinrichtungen arbeiten mit Freeformer
So übergab Arburg-Technikgeschäftsführer Heinz Gaub z. B. im April 2016 am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) das neue Arburg Innovation Center (AIC) seiner Bestimmung. Bei der Eröffnungsfeier machte Prof. Dr. Jürgen Fleischer als Vertreter des Instituts für Produktionstechnik wbk den Wert der gemeinsamen „Industry on Campus“ deutlich: „Das AIC spannt den Bogen vom wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn bis zur Marktfähigkeitsmachung. Hier arbeite Wissenschaft und Industrie professionell Hand in Hand.“ Dazu stehen den Wissenschaftlern in der neuen Einrichtung unter anderem zwei Freeformer zur Verfügung.
Das SKZ in Würzburg, Deutschland, betreibt seit dem Jahr 2011 ein Kompetenzzentrum für Additive Fertigung und legt den Fokus auf die additive Serienfertigung von Kunststoffteilen. In Kooperation mit der IHK wird eine neue Kunststofftechniker-Ausbildung speziell zu Additiven Fertigung angeboten. Zu den verschiedenen Verfahren und Technologien für die Additive Fertigung von Einzelteile und Kleinserien zählt auch das Arburg Kunststoff-Freiformen (AKF). Die Wissenschaftler arbeiten derzeit z. B. daran, die Materialpalette weiterzuentwickeln und mit dem Freeformer Werkstoffe zu kombinieren, die sich aufgrund ihrer Unverträglichkeit eigentlich nicht verbinden würden. „Wir kooperieren seit Jahrzehnten mit Arburg im Bereich Spritzgießen und freuen uns, auch Partner bei der Weiterentwicklung des Freeformers zu sein“, betont Prof. Martin Bastian, Institutsdirektor des SKZ.
Ein in eine vernetzte Industrie-4.0-Anwendung integrierter Freeformer individualisiert „smarte“ Kofferanhänger, indem er eine 3D-Grafik aus TPE aufbringt.
Individualisierte Serienfertigung
Großes Zukunftspotenzial hat z. B. die Individualisierung von Kunststoffteilen unter Einbindung von Industrie-4.0-Technologien. Als Beispiel einer solchen, neuen wegweisenden Anwendung präsentierte Arburg auf der K 2016 „smarte“, personalisierte Kofferanhänger. An mehreren Stationen auf dem Messestand erlebten die Besucher Schritt für Schritt, wie wirtschaftlich in Losgröße 1 produziert werden kann. Die räumlich verteilte Fertigungsabfolge kombinierte eine Allrounder-Spritzgießmaschine, den Freeformer für die Additive Fertigung sowie Automation. Der Freeformer individualisierte das Serienbauteil mit einer zuvor ausgewählten Grafik in 3D.
In rund drei Stunden Bauzeit fertigt ein Freeformer aus dem Hochtemperatur-Kunststoff PEI eine Kleinserie von 70 Abstandshaltern.
Materialpalette wird stetig erweitert
Ein großer Vorteil des Freeformers ist, dass mit dem offenen System prinzipiell jedes Material plastifiziert werden kann. Das Bedienpanel der Freeformer-Steuerung besteht aus einem leistungsstarken Industrie-PC mit Multi-Touchscreen. Der Bediener muss nur die STL-Daten einlesen und das Material definieren. Die 3D-CAD-Daten der herzustellenden Bauteile werden nach qualitäts- und materialabhängigen Kriterien an einem PC offline aufbereitet. Eine spezielle Software erzeugt dabei durch Slicing die erforderlichen Fertigungsdaten. Daraus generiert die Steuerung selbstständig die Verarbeitungsdaten. Aber auch die individuelle Eingabe von Parametern ist möglich. Besonders wichtig, um gute Teile zu bauen, sind die Verarbeitungstemperatur und Temperaturbeständig¬keit. In das anlagenspezifische NC-Programm fließen Aspekte wie Kanten-, Füll-, Festigkeitsstrategie und Bauraumtemperatur ein. Ergebnis sind voroptimierte Prozessdaten für die einzelnen Materialtypen.
Bereits qualifiziert sind Standardmaterialien wie ABS, PC, PA12 und TPU sowie ein wasserlösliches Stützmaterial. Daneben wurden im AKF-Verfahren bereits viele weitere Kunststoffe erfolgreich additiv verarbeitet. Hierzu zählen etwa Blends von PC-ABS mit Flammschutz, medizintechnisches PLA (Resomer) und biologisch abbaubares PHA (Arboblend).
Auf der K 2016 wurde am Beispiel von Abstandshaltern, die in Allrounder-Spritzgießmaschinen verbaut werden, erstmals die Verarbeitung des Hochtemperatur-Kunststoffs Ultem 9085 gezeigt, der zu den Polyetherimiden (PEI) zählt. Dazu ist die Beheizung des Freeformer-Bauraums angepasst. Bemerkenswert ist bei dieser Anwendung auch die Schichthöhe von nur rund 0,14 Millimetern. Das ermöglicht eine besonders „enge“ Füllung und hohe Dichte und damit verbunden eine hohe Bauteilqualität und mechanische Festigkeit. Das Material eignet sich daher auch sehr gut für Anwendungen in der Automobilindustrie und Luftfahrt. Die Bauzeit für eine Kleinserie von 70 Stück beträgt rund drei Stunden.
Prozessstabilität
Welche aktuellen Fortschritte hinsichtlich Steigerung der Prozesssicherheit gemacht wurden, demonstriert das „Kniehebel-Modell“ (Maßstab 1:16). Das Bauteil wird in rund 200 Stunden im Dauerbetrieb additiv aus ABS gefertigt. Die zweite Austragseinheit trägt Stützmaterial auf, um die erforderlichen, komplexen Geometrien zu realisieren. Der aus rund 100 Millionen Tropfen entstehende „Klotz“ füllt praktisch den gesamten Bauraum aus, der für max. 154 x 134 x 230 Millimeter große Teile ausgelegt ist. Nach Auflösen der Stützstruktur im warmen Wasserbad verfügt das 738 Gramm schwere Modell – wie der Kniehebel einer „richtigen“ Spritzgießmaschine – über rund 30 bewegliche Gelenke.
Vielfältige Einsatzbereiche
Hinsichtlich Branchen und Einsatzbereichen sind dem Freeformer prinzipiell kaum Grenzen gesetzt. Ein interessantes Anwendungsgebiet in der Medizintechnik ist die additive Fertigung von persönlich angepassten Implantaten und Orthesen sowie für Modelle zur Operationsvorbereitung. Spezielle resorbierbare Implantate auf Basis von Polylactid (PLA), wie sie etwa als Schrauben oder Stifte für die Fixierung von Knochen oder Gewebe zum Einsatz kommen, bauen sich nach definierter Zeit im Körper von selbst ab. Dass sich medizinisches PLA prinzipiell auch mit dem Freeformer verarbeiten lässt, wurde erstmals auf den Arburg Technologie-Tagen 2016 demonstriert. Beispiele waren ein Gesichts- und ein Schädelknochen. Weitere Untersuchungen in diesem neuen Bereich folgen.
Interessant ist auch die Möglichkeit der Integralbauweise: Komplette Bauteilgruppen können im bereits montierten Zustand produziert werden. Ein weiterer denkbarer Einsatzbereich ist, Betriebsmittel wie z. B. Montagevorrichtungen und Greifer für Automation schnell, flexibel und kostengünstig zu fertigen. Um eine Gewichtsreduktion und Leichtbau zu erreichen, lassen sich bionisch optimierte Bauteile konstruieren und herstellen, ohne fertigungstechnische Zwänge, wie sie beim Spritzgießen gegeben sind, berücksichtigen zu müssen.
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