VDMA AM: Erfolgsfaktor Qualifizierung

Es klingt paradox: Je weiter die Industrialisierung der AM-Branche fortschreitet, desto wichtiger wird der Faktor Mensch. Denn um das wirtschaftliche und technologische Potenzial zu heben, gilt es branchenübergreifend Fachleute aus Entwicklung, Konstruktion, Produktions- und Verfahrenstechnik von den Möglichkeiten und Methoden der Technologie zu überzeugen. Da der AM-geschulte Blick sich nicht von allein einstellt, ist berufliche und universitäre Aus- und Weiterbildung gefragt.

In der Medizintechnik hat die Additive Fertigung mittlerweile einen festen Platz. Beispielsweise für die Herstellung von Spinal-Cages.

In der Medizintechnik hat die Additive Fertigung mittlerweile einen festen Platz. Beispielsweise für die Herstellung von Spinal-Cages.

„Damit der Markt für AM-Prozesstechnik größer wird, müssen wir Know-how in möglichst viele Köpfe hineinbekommen“, sagt René Kreissl, Leiter der Business Unit Additive Manufacturing bei Trumpf in Ditzingen. Wie schwer das ist, hat er im eigenen Unternehmen erlebt. Denn Trumpf ist zwar ein führender Anbieter von AM-Prozesstechnik für Metalle, aber damit nicht automatisch auch AM-Anwender. Als ein Team aus der Entwicklung und Konstruktion AM-geeignete Serienbauteile im eigenen Maschinen- und Anlagenportfolio oder Werkzeuge und Vorrichtungen in der Produktion suchte, tat es sich nicht leicht. Kreissl erzählt das ohne jeden Vorwurf: „Wir mussten feststellen, dass ihnen das Mindset fehlte.“ Die in konventionellen Fertigungsverfahren erfahrenen Fachleute fanden keinen Zugang. Sein Zwischenfazit: „Der Schritt zum Serienprozess ist nicht nur ein technischer – sondern auch ein gedanklicher.“

Die neue Farsoon-Anlage FS422M-4 bei Toolcraft  arbeitet mit vier Laser-Scanning-Systemen.

Die neue Farsoon-Anlage FS422M-4 bei Toolcraft arbeitet mit vier Laser-Scanning-Systemen.

Qualifizierung hilft, das Potenzial auch intern zu erschließen

Der Gedanke, dass die Designfreiheiten, die Möglichkeiten zur Funktionsintegration oder das Leichtbaupotenzial von AM auch im Serieneinsatz nutzbar sind und sich mit pfiffigen Konstruktionen ganze Baugruppen in einer Komponente umsetzen lassen, ist noch nicht in der Fläche angekommen. Den Impuls zum Umdenken setzt Trumpf durch Qualifizierung. Das auch extern buchbare Seminar „Bauteilgestaltung für Additive Manufacturing“ vermittelt Teilnehmenden, mögliche AM-Bauteile zu identifizieren und die Designfreiheiten zu nutzen. Mit Erfolg, denn infolge der Schulungen verbaut das Unternehmen immer mehr additiv gefertigte Serienbauteile. Laut Kreissl laufen ständig 30 bis 40 Evaluierungsprojekte mit verschiedensten Fachabteilungen. Je tiefer sich das Unternehmen mit der AM-Anwendung beschäftigt, desto mehr Potenzial entdecken die Fachleute.

Diesen Prozess unterstützt eine Innovationswerkstatt, in der das Fachpersonal seiner Kreativität im AM-Design und mit AM-Anlagen freien Lauf lassen, seine Ideen iterativ optimieren und Prozessverständnis entwickeln kann, das auch in die Optimierung der AM-Prozesstechnik von Trumpf einfließt. All das betrachtet Kreissl als einen laufenden Change-Prozess. Bauteile Schicht für Schicht aufzubauen, setze ein ganz anderes Herangehen voraus, als diese aus dem Vollen zu fräsen. Doch weil es hierbei nicht nur auf Kreativität, sondern auch auf die Kosten, Qualität, Langlebigkeit sowie normgerechte Umsetzung ankommt, gehen gerade vorsichtige Zeitgenossen lieber auf Nummer sicher und bleiben bei bewährten Prozessen. Um diese Skepsis zu überwinden, müssen sie die AM-Vorteile verstehen: integrierte Kühlfunktionen, Leichtbau mit komplexen lastgerechten Topologien ohne Mehrkosten, Bauraumvorteile oder sinkender Montageaufwand. „In dem Moment, wo dann auch die Kosten 30 bis 40 Prozent niedriger sind als in der konventionellen Fertigung, sind auch die Vorsichtigsten zur Veränderung bereit“, hat Kreissl beobachtet. Das gelinge vor allem dann, wenn die vertrauten Tools nutzbar bleiben. Denn zu viel Veränderung auf einmal berge die Gefahr, dass sich Überzeugte wieder abwenden.

Mittels Pulverdüse-LMD können auch Geometrien endkonturnah auf rotationssymmetrische Grundkörper aufgetragen werden.

Mittels Pulverdüse-LMD können auch Geometrien endkonturnah auf rotationssymmetrische Grundkörper aufgetragen werden.

Kreativität bei der Stellenausschreibung

Als Geschäftsführer der Prototec GmbH & Co. KG, einem innovativen kleinen Dienstleister, der seine Kundschaft berät, in Engineering, Konstruktion und Topologieoptimierung unterstützt und die 3D-Designs dann mit additiven Metall- und Kunststoffverfahren fertigt, hat Torsten Wolschendorf eine andere Perspektive auf das Thema Qualifizierung. In seinem Betrieb liegt der Schwerpunkt klar auf der Fertigung; von Prototyp bis Kleinserie. Um Stellen zu besetzen, sind daher weniger studierte als beruflich ausgebildete Fachkräfte gefragt. Weil es diese mangels Ausbildungsgängen nicht gibt, lernt Prototec Berufseinsteiger selbst an. Das Problem beginnt aber schon früher. Um Stellen in Jobportalen oder bei der Agentur für Arbeit auszuschreiben, fehlt es an Stellenbeschreibungen und klaren Qualifikationsprofilen. „Werkzeugbauer, Industriemechaniker oder Zerspanungstechniker suchen in ihren Jobs und nicht nach Additive Manufacturing“, sagt er. Darum sei Kreativität gefragt: Unter anderem habe er bereits eine Zahntechnikerin und einen Tischler eingestellt.

Der Bereich Additive Fertigung bei Toolcraft ist ein Paradebeispiel für den wirtschaftlichen Einsatz generativer Technologien bis hin zur Serienfertigung.

Der Bereich Additive Fertigung bei Toolcraft ist ein Paradebeispiel für den wirtschaftlichen Einsatz generativer Technologien bis hin zur Serienfertigung.

Für die Industrialisierung braucht es qualifizierte Menschen

Kompetenz in den eigenen Reihen und darüber hinaus aufzubauen, treibt auch Christoph Hauck um. Als Vorstand für Vertrieb und Technologie der 1989 gegründeten und seither auf 440 Beschäftigte gewachsenen Toolcraft AG geht er das Thema Qualifizierung tatkräftig an. Weil es im Markt an AM-Verständnis und der Vermittlung von praktikabler Normung fehle, hat Toolcraft gemeinsam mit der IHK Nürnberg eine Zusatzqualifikation Additive Fertigung für Metall- und Elektroberufe entwickelt. Diese ist bundesweit anwendbar und wird über die DIHK in die Fläche getragen. Zudem hat Toolcraft mit der IHK und der Universität Erlangen-Nürnberg zwei Zertifikatskurse entwickelt: „Operator Additive Manufacturing“ sowie „Konstrukteur Additive Manufacturing“ (jeweils m/w/d).

„Uns liegt sehr daran, Wildwuchs im Aus- und Weiterbildungsbereich zu vermeiden“, erklärt Hauck. Daher geht auch er den Weg der Vernetzung im VDMA-Fachverband Additive Manufacturing und in dessen Arbeitsgruppe Qualifizierung. Und deshalb die Zusammenarbeit mit der lokalen IHK und ihrer Dachgesellschaft, denn sie haben die Plattform, um Ausbildungsgänge zu etablieren. Die aktuell 57 Toolcraft-Azubis sollen zu den ersten Absolventen gehören, wenn es nach ihm geht. Zudem führt sie das Unternehmen in virtuellen Trainings an die Technologie heran. Diese vermitteln ihnen typische Handgriffe der Maschinenbedienung, des Postprocessings sowie der begleitenden Aufmaße und Einspannprozesse. Mittlerweile finden sich erste Auszubildende, die ihre berufliche Zukunft im AM-Bereich sehen.

Auch in der Raumfahrt bietet die Additive Fertigung durch ihre Leichtbaumöglichkeiten einen enormen Mehrwert, wie zum Beispiel bei dieser Satellitenantenne.

Auch in der Raumfahrt bietet die Additive Fertigung durch ihre Leichtbaumöglichkeiten einen enormen Mehrwert, wie zum Beispiel bei dieser Satellitenantenne.

Auszubildende finden und für AM begeistern

Doch diese zu finden, ist gerade für Anbieter aus dem Kunststoffbereich schwierig. Allgemein tut sich die Kunststoffindustrie schwer, Lehrstellen zu besetzen. Wenn sich der Bedarf wie bei Arburg auf über 100 Auszubildende pro Lehrjahr beläuft, ist kreatives Recruiting gefragt. Der 3D-Druck ist dabei hilfreich. Da er bei jungen Leuten zieht, präsentieren die Schwarzwälder auf Ausbildungsmessen regelmäßig ihren Freeformer. Bisher gelingt es, alle Lehrstellen zu besetzen. Stand März 2023 absolvieren 265 junge Menschen eine Ausbildung bzw. ein duales Studium bei Arburg. „Wir bilden klassisch zum Verfahrensmechaniker Kunststoff- und Kautschuktechnik aus und bieten auf Wunsch eine IHK-Zusatzqualifikation Additive Manufacturing an“, erklärt Ausbildungsleiter Michael Vieth. Um bei ihnen Berührungsängste abzubauen, setzt Vieth auf spielerischen Zugang. Das funktioniert! Einfache 3D-Drucker für den Anfang, an denen sich der Nachwuchs in die Prozesse eindenken und diese dann auf den Freeformer übertragen kann. Vom Haushaltsdrucker zum Industrieprozess.

Im ersten Schritt arbeiten Trumpf, Arburg, Toolcraft, Prototec und über ein Dutzend weiterer Mitgliedsfirmen im VDMA-Fachverband Additive Manufacturing an mehr Transparenz im Aus- und Weiterbildungsmarkt. Im Arbeitskreis Qualifizierung sondieren sie, was der Markt bietet. Auf dieser Basis lasse sich perspektivisch auch eine qualitative Einordnung vornehmen. Noch allerdings geht es laut Kreissl vor allem darum, dass die vorhandenen Angebote besser genutzt werden. „Es ist unklar, woran es liegt: Aber viele Anbieter berichten, dass ihre AM-Qualifizierungsmaßnahmen auf schwache Resonanz stoßen“, erklärt er. Ob die Inhalte am Markt vorbeigehen, die Kurse zu wenig bekannt sind oder andere Ursachen zugrunde liegen, gelte es herauszufinden.

Gemeinsam zu einem transparenten Aus- und Weiterbildungsmarkt

Klar ist aber, dass kein Unternehmen die Problematik allein lösen kann. Dafür braucht es die Vielfalt der Perspektiven unterschiedlicher Akteure und eine fachliche Debatte über tatsächliche Bedarfe. Im VDMA-Fachverband ist diese Debatte längst angelaufen. Die erarbeiteten Positionen gilt es dann an Bildungsträger und die Politik heranzutragen. Kreissl ist optimistisch. „Wir sind in Deutschland früh dran mit der Industrialisierung von Additive Manufacturing – und wir stoßen daher auch früher als andere auf Probleme wie die lückenhafte Qualifizierung“, sagt er. Die gute Vernetzung innerhalb der Branche sei der Schlüssel, um zügig praktikable und marktgerechte Lösungsansätze zu entwickeln.

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