Personalauswahl – Messverfahren

„Mach messbar, was messbar ist!“ mahnte der berühmte Physiker Galileo Galilei, 1564 in Pisa geboren. Schon damals hatten nämlich vielerorts sogenannte Praktiker das Sagen, denen das Messen zu anstrengend war. So kam es, dass erst 1905 der Intelligenzquotient entdeckt wurde – in Berlin. Deswegen verlässt sich noch heute so mancher sparsame Praktiker auf seinen ersten Eindruck, auf seine Intuition oder auf einen „Irgendwie-Test“ aus dem Internet. Ansichten von Heidy Bachmann, Geschäftsführerin IST Dreilinden

Diplom-Mathematikerin Heidy Bachmann berät mit ihrer Firma IST Dreilinden in der DACH-Region Betriebe und Behörden bei der Personalauswahl.

Diplom-Mathematikerin Heidy Bachmann berät mit ihrer Firma IST Dreilinden in der DACH-Region Betriebe und Behörden bei der Personalauswahl.

Die Herrscher der Antike hielten große Stücke auf die seinerzeit noch sehr einfachen Versuche, durch geschicktes Vergleichen von Soll und Ist, den mutigsten Krieger, den klügsten Wegeplaner (also, den Strategen) oder den gescheitesten Heiler zu identifizieren. In den alten Schriften finden sich viele dieser Versuche, die wir heute in bestem Wissenschaftslatein als „Initiationsriten“ bezeichnen. Den sicheren Nachweis zu erbringen, dass der junge Mensch die Voraussetzungen für eine bestimmte Aufgabe in der Gesellschaft erfüllen könnte – das konnte über den Ausgang von Nachbarschaftsfehden und Eroberungskriegen entscheiden.

Probleme der Urteilsbildung auf der Basis von Bauchgefühl, Erfahrung, Intuition und Menschenkenntnis (Buch: Uwe P. Kanning, Personalauswahl zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Springer-Verlag 2015, S 139)

Probleme der Urteilsbildung auf der Basis von Bauchgefühl, Erfahrung, Intuition und Menschenkenntnis (Buch: Uwe P. Kanning, Personalauswahl zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Springer-Verlag 2015, S 139)

Zu Zeiten des Galileo Galilei wurde der Jesuitenorden gegründet. Der Gründer, ein baskischer General, beschränkte die Neuaufnahmen auf Männer, die den strikten Prüfmerkmalen voll entsprachen. Der General wollte zuverlässig unterscheiden können zwischen „denjenigen, die deutlich geeignet oder das Gegenteil sind“, vor allem aber, wenn es ernsthafte Zweifel an der Eignung gäbe. Bewerber mussten dann intensive Befragungen hinsichtlich ihrer Kenntnisse, Beweggründe, Sprachen und Bildung, ihres Verstandes, Auftretens, Alters, körperlicher Verfassung bis hin zum Charakter bestehen, um aufgenommen zu werden. Notfalls verlangte der General sogar Arbeitsproben und Probezeiten. Sein Verfahren ist in deutscher Übersetzung zugänglich.

Inzwischen wurde die Psychologie zu einer Wissenschaft. Das haben allerdings viele Manager nicht mitbekommen. Sie selber messen ihren Blutdruck möglichst mit dem modernsten Gerät, ziehen den Fitness-Tracker dem alten MRT vor. Wenn es aber gilt, eine neue Arbeitskraft auszuwählen, genügt ihnen die Intuition, verlassen sie sich auf ihr „Bauchgefühl“.

Selbst in hochmodernen Technologie-Branchen wie der Additiven Fertigung investieren die Unternehmen viel zu wenig in die systematische Auswahl der oft teuren Mitarbeiter und in deren Qualifikation. Vieles erfolgt immer noch selbstorganisiert nach dem Prinzip „Learning-By-Doing“. Welche Kenntnisse und Fertigkeiten im Detail benötigt werden, ist im Vorfeld oft unbekannt.

Die Psychologie arbeitet sich seit Jahrzehnten ab an der Verbesserung sicherer Messverfahren bei der Personalauswahl. Es gibt inzwischen sogar eine DIN, die ziemlich genau beschreibt, woran ein ordentliches Auswahlverfahren zu erkennen ist. DIN-zertifizierte Personalauswahl sichert Qualität und Wissenschaftlichkeit.

Die DIN 33430 für tätigkeitsbezogene Eignungsdiagnostik hat es aber in sich. Eine gemeinsame Lesestunde lohnt sich für alle Personen in leitender Funktion:

1. Die Durchführung ist objektiv und standardisiert – von der Tageszeit über die Ansage der zu lösenden Aufgaben bis hin zu den Regeln im Störungsfall und der Interpretation zu Ergebnisse.

Objektiv ist ein Verfahren, wenn der Testdurchführende keinen Einfluss auf das Messergebnis nimmt oder nehmen kann. Das sichern standardisierte Anwendungs-, Auswertungs- und Interpretationsvorgaben. Die findet man am ehestens bei computergestützten Testverfahren mit automatisierter Auswertung. Für Interviews und Assessment-Center ist es schon nahezu aussichtslos, so einen Nachweis zu erbringen.

Vorsicht: Derzeit werden vermehrt „Online“-Verfahren angeboten. Diese sind nicht standardisierbar und objektiv, da die Durchführungssituation nicht kontrollierbar ist und nicht eindeutig ist, wer den Test nun eigentlich ausfüllt. Die Identität der Person, die sich für eine Position bewirbt, muss sichergestellt sein.

2. Die Normen (= Eichwerte) liegen vor und wurden vor höchstens 8 Jahren errechnet anhand einer Grundgesamtheit von mindesten 500 repräsentativen Personen, die in den vergangenen 10 Jahren an dem Test teilnahmen.

Bei den Norm-Angaben sind der Erhebungszeitraum der Eichmessung, die Anzahl der dazu herangezogenen Personen und die Vergleichbarkeit der Anwendungssituation (z. B. Bewerberauswahl) nachzuweisen.

Vorsicht, wenn die Eich- bzw. Normierungsstatistik zum „Betriebsgeheimnis“ erklärt wird wie auch, wenn die Normierung aus beispielsweise den 1960er Jahren stammt oder die Stichprobe aus Personen in Ausbildung oder aus Arbeitslosen rekrutiert wurde. Auch reine Übersetzungen von Normen aus dem Ausland sind allzu leicht angreifbar.

3. Der statistische Nachweis der Qualitäts-Kennwerte (Reliabilität und Validität) steht einsehbar und prüfbar zur Verfügung.

Seit Einführung der DIN-33430 benennen seriöse Verfahrensanbieter Qualitäts-Kennwerte für Reliabilität (Genauigkeit der Messung) und Validität (Übereinstimmung der Anforderung mit dem Prüfmerkmal). Die ihnen zugrunde liegende Statistik wird von seriösen Anbietern unaufgefordert zur Einsicht bereitgestellt.

Gesteigerte Vorsicht, wenn die Qualitäts-Kennwerte zum „Betriebsgeheimnis“ erklärt oder wenn unrealistisch hohe Kennwerte behauptet werden.

4. Die Anforderungen der ausgeschriebenen Tätigkeit sind festgestellt und prüfbar (=Erwartungs- oder Sollwerte). Die Messbereiche des Verfahrens decken die Anforderungen (Validität).

a) Die Anforderungen einer ausgeschriebenen Tätigkeit („Stelle“) sind heute durch Arbeitsschutz und Arbeitsmittel weitgehend nivelliert. Zu prüfende, relevante Eignungsbereiche liegen jedoch in der verbalen und nichtverbalen Interaktion, in den numerischen und sprachlichen Fertigkeiten und in den Ausprägungen des Leistungsverhaltens und werden mit der „Anforderungsanalyse“ (siehe Magazin x-technik 3/Nov.17, Seite 12) ermittelt. Gerade in der Additiven Fertigung sind unterschiedlichste Anforderungen zu finden: es werden sowohl hoch qualifizierte Ingenieure und Techniker beschäftigt wie auch Personal für einfache, manuelle – aber auch anspruchsvolle – Tätigkeiten. Der wichtigste praktische Leistungsbereich liegt hier in der Arbeitsvorbereitung. Da fehlt es oft an der Vorgehensweise, die eigentlich schnittig strukturiert sein sollte.

b) Je mehr Merkmale, desto besser? Leider und logisch: FALSCH. Erstens gibt es überhaupt nur wenige, wirklich objektiv messbare Merkmale. Zweitens gibt es nur wenige Tätigkeiten, für die mehr als 10 Merkmale zu fordern sind. In der Additiven Fertigung könnten das u. a. die Merkmalsgruppen Intelligenz, Lesekapazität, technisches Verständnis, Ablaufplanung oder auch Prüfmentalität sein.

c) Die erwarteten Messwerte werden vor der Auswahlmessung festgelegt: empirisch durch Beobachtung, Erfahrungsberichte, Experten-Rating – messtechnisch durch repräsentative Messung an Vergleichspersonen. Hinreichend belegte, konkrete Anforderungen können durchwegs mit einigen wenigen Messverfahren abgedeckt werden.

Vorsicht, wenn der Anbieter weder empirisch noch messtechnisch ermittelte Eignungswerte verwendet und sich stattdessen auf „Ideal“-Werte oder -Schablonen beruft („Verkäufertyp“, „Best-Performer“, „Führungspersönlichkeit“ etc.). Er kann sich auf Fehleinschätzungen aus gutem Willen berufen. Fragebogen mit wenigen Fragen zu sehr vielen Merkmalen mit kurzer Bearbeitungszeit und umfangreichen Standardberichten sind mit hoher Wahrscheinlichkeit Scharlatanerie.

5. Für die Entscheidungsfindung bei Unter- oder Überschreiten von Erwartungs-/Sollwerten gibt es festgelegte Leitlinien.

„Normalverteilung“ oder „Glockenkurve“ nach C.F. Gauß bilden die Eignungsmesswerte ab. Eine Testperson erreicht entweder die erwarteten Messwerte oder sie über- bzw. unterschreitet sie. Wenn das Verfahren mehrere Merkmale prüfen soll, sinkt mit der Anzahl der Merkmale aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass jedes Mal ein Treffer im Soll erreicht wird.

Vorsicht, wenn der Test-Anbieter eine allgemeine „Stärken“- und „Schwächen“-Dialektik vertritt. Tatsächlich gibt es keinen Messwert, der für jede Tätigkeit eine „Stärke“ bzw. „Schwäche“ wäre. Die Stärken- und Schwächenprofile stammen aus vorwissenschaftlichen Zeiten. Aus denen könnte dann wohl auch der angebotene Test stammen.

6. Das Verfahren ist außer in Deutsch in mindestens zwei weiteren EU-Sprachen verfügbar und durchführbar.

Zahlreiche Auswahlverfahren werden aus USA und England über Lizenznehmer angeboten. Übersetzungen ins Deutsche sind durchwegs unzureichend und verfälschen das Ergebnis. Gegenüber ungeprüften Übersetzungen ist grundsätzlich Zurückhaltung zu üben. Sehr häufig werden nämlich Übersetzungen mit jeweils nur übersetzten Normen angeboten. Unabdingbar sind jedoch Norm-Stichproben aus der jeweiligen Sprachregion.

7. Diskrimierung, Datenschutzverstöße und Verletzungen der Persönlichkeitsrechte sind nach den Spezifikationen des Deutschen Rechts auszuschließen. Die Rechtssicherheit des Verfahrens ist durch Gutachten und/oder Rechtsprechung belegt.

Die Rechtssicherheit von Auswahlverfahren gewinnt an Bedeutung, da die Bereitschaft zunimmt, Auswahlentscheidungen gerichtlich überprüfen zu lassen. Arbeitsrechtler orientieren sich an Prof. Dr. jur. Gerrick von Hoyningen-Huene „Der psychologische Test im Betrieb“, 133 Seiten, Sauer-Verlag, Heidelberg, 1997, ISBN 3-7938-7168-1.

Im Rahmen der arbeitsgerichtlichen Überprüfung werden meistens Vergleiche zu Lasten des Arbeitgebers geschlossen. In Verwaltungsgerichtsverfahren dagegen geht es meistens um die wissenschaftlichen Grundlagen der verwendeten Verfahren. Seriöse Anbieter stellen für den Fall des Rechtsstreits Sach- und Fachauskünfte zur Verfügung.

Wer es effektiv und schlank halten möchte, sollte einen bewährten Methodenmix aus objektiven Leistungstests und einem gut strukturierten Interview für das Bewerbungsgespräch favorisieren. Bei Bedarf könnte dieser Mix für den gewerblichen Bereich noch mit einer Arbeitsprobe kombiniert werden.

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