gastkommentar

Universität Duisburg - Essen VDI 3405: Standardisierung im Bereich der Additiven Fertigung – ein Beitrag zur Qualitätssicherung?

Die Additive Fertigung hat in den letzten Jahren an Bedeutung für die industrielle Serienfertigung gewonnen. Neben vielen wichtigen technologischen Fortschritten, waren auch solche im Bereich der Standardisierung für diesen Trend ausschlaggebend. Ansichten von Prof. Dr.-Ing. habil. Gerd Witt

Gründungssitzung des Fachbereichsrat Additive Fertigungsverfahren,  (v.l.n.r.) Rüdiger Marquardt (Mitglied des Vorstandes von DIN), Prof. Dr.-Ing. habil. Gerd Witt, Lehrstuhlinhaber für Fertigungstechnik Universität Duisburg-Essen und Fachbereichsleiter des NA 145-04 FBR, Dr. Christian Seidel, Fraunhofer IGCV, Christoph Hauck, Geschäftsführer der MBFZ toolcraft GmbH und Vorstandsvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Additive Manufacturing (AG AM) im VDMA, Volker Seibicke, Geschäftsführer DIN-Nor

Gründungssitzung des Fachbereichsrat Additive Fertigungsverfahren, (v.l.n.r.) Rüdiger Marquardt (Mitglied des Vorstandes von DIN), Prof. Dr.-Ing. habil. Gerd Witt, Lehrstuhlinhaber für Fertigungstechnik Universität Duisburg-Essen und Fachbereichsleiter des NA 145-04 FBR, Dr. Christian Seidel, Fraunhofer IGCV, Christoph Hauck, Geschäftsführer der MBFZ toolcraft GmbH und Vorstandsvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Additive Manufacturing (AG AM) im VDMA, Volker Seibicke, Geschäftsführer DIN-Nor

Gastkommentar

Prof. Dr.-Ing. habil. Gerd Witt ist Lehrstuhlinhaber für Fertigungstechnik Universität Duisburg-Essen, Fachbereichsleiter des DIN Fachbereichsbeirates NA 145-04 FBR sowie Mitglied zahlreicher Fachgremien im Bereich der Additiven Fertigung.

Obwohl die ersten technischen Entwicklungen im Bereich der Additiven Fertigung in den USA – im Umfeld von Chuck Hull und der Firma 3D Systems – in den 1980er Jahren initiiert wurden, starteten die weltweit ersten Standardisierungsaktivitäten mit der Gründung des VDI Fachausschusses 105 im Jahre 2003 in Deutschland. Dies war bereits der zweite Versuch, der deshalb erfolgreich war, weil hier neben universitären Forschungseinrichtungen auch die Anlagenhersteller und Anwender mit am Tisch saßen. Hierdurch konnten die konkreten Problemstellungen der industriellen Praxis adressiert und in einem handlungsfähigen Expertengremium in Form einer ersten Richtlinie – der VDI 3404 – publiziert werden. Diese im Jahre 2009 erschienene Richtlinie wurde 2014 einer Revision unterzogen und beschreibt umfassend und herstellerneutral grundlegende Terminologien, Verfahrensabläufe und Lieferbedingungen. Durch mühsam erarbeitete und historisch einzigartige Vereinbarung zwischen den internationalen Normungsorganisationen sind die Inhalte der ersten VDI Richtlinie in die internationalen Normen DIN EN ISO/ ASTM 52900 sowie DIN EN ISO 17296-2 eingeflossen.

Abbildung 1: Organisatorischer Aufbau der PSDO. Quelle: Dr. Christian Seidel, Fraunhofer IGCV

Abbildung 1: Organisatorischer Aufbau der PSDO. Quelle: Dr. Christian Seidel, Fraunhofer IGCV

Internationale Standardisierungsaktivitäten

Neben VDI FA 105 bildeten sich in den Folgejahren weitere internationale Gremien, deren Ziel es war Anwendern der Additiven Fertigung den Zugang zur Technologie zu ermöglichen und Grundlagen für einen industriellen Einsatz zur Verfügung zu stellen. Heute sind mehr als 13 internationale Organisationen (wie z.B. ASTM, ISO, CEN, DIN, AFNOR, VDI, etc.) beteiligt. Mit der Zunahme der involvierten Organisationen können zwar weltweit Experten der Additiven Fertigung in die laufenden Standardisierungsprozesse eingebunden werden und bislang nicht betrachtete Themen schneller analysieren bzw. in Normungsprojekten behandeln, jedoch erhöht sich der Komplexitätsgrad gleichermaßen. Die Vielfalt der relevanten Themenbereiche und die hohe Marktdynamik erschwert es einen umfassenden Überblick über laufende Standardisierungsaktivitäten zu wahren und birgt die Gefahr eines redundanten oder inkonsistenten technischen Regelwerks.

Auswirkungen unkoordinierter Standardisierungsaktivitäten

Ein bekanntes Beispiel hierfür kann bei der Terminologie ausgemacht werden. So existieren unterschiedliche Bezeichnungen für ein und dasselbe Verfahren, wie z.B. das „Laser-Strahlschmelzen“ (nach VDI 3405), welches in anderen Standards auch als laserbasiertes Pulverbettschmelzen (nach DIN EN ISO 17296-2) oder der laserbasierten Pulverbettfusion von Metallen (nach ISO/ASTM 52900) bezeichnet wird (Vergleiche Gastbeitrag Dr.-Ing. Marquardt, Additive Fertigung 05-2018). Die Relevanz und Dringlichkeit eines verfügbaren Regelwerks wird z.B. anhand der im September 2018 erschienenen Norm DIN 35224 Schweißen im Luft- und Raumfahrzeugbau – Abnahmeprüfung von pulverbettbasierten Laserstrahlmaschinen zur Additiven Fertigung deutlich. Hier wurde infolge einer unzureichenden Abstimmung mit bestehenden Standardisierungsgremien weitere Terminologien eingeführt, die bereits an anderer Stelle in anderer Form existierten. Der hier adressierte Anwendungsfall – die Luftfahrt – ist ein klassisches Beispiel für die Notwendigkeit technischer Regelwerke zum Zweck der Zertifizierung und Qualitätssicherung. Ein in sich widersprüchliches Regelwerk kann sich hier kontraproduktiv auswirken, eine Unsicherheit bei potenziell interessierten Anwendern auslösen und so ein Hemmnis zur weiteren Etablierung des technologischen Fortschritts darstellen.

Stärkung der internationalen Zusammenarbeit

Um eine solche Konfusion und damit einhergehende Handelshemmnisse zu reduzieren wurde im Jahr 2011 ein bisher einmaliges Abkommen zwischen zwei relevanten internationalen Standardisierungsorganisationen, dem ISO TC 261 und dem ASTM Committee F42, beschlossen, durch welche Standards gemeinsam entwickelt und publiziert werden sollen. Die hierzu gegründete Partner Standards Developing Organisation (PSDO) liefert den organisatorischen Rahmen und verfolgt die Maxime „One world – one standard“, welche durch den damaligen Vorsitzenden des ISO TC 261 und Pioniers der Additiven Fertigung Jörg Lenz geprägt wurde.

Die Funktionsstruktur dieses Gremiums ist in Abbildung 1 dargestellt. Ausgehend von einer begründeten Notwendigkeit neue Normen und Standards zu entwickeln, die z.B. durch Weiterentwicklungen der Technologie durch Hersteller bzw. Anwender oder unabhängige Arbeitsergebnisse von Gremien getrieben sein kann, wird der Bedarf an einem der beiden Partnergremien angemeldet. Eine Expertengruppe entscheidet anschließend über die Art des zu erstellenden Standards, bei dessen Form zwischen einem ISO/ASTM-Standard und einem ISO/ASTM Technischen Bericht unterschieden wird. Anschließend wird eine Arbeitsgruppe gegründet, die aus Experten der ISO sowie der ASTM zusammengesetzt wird, um ein handlungsfähiges Arbeitsumfeld zu schaffen. Die Hauptaufgabe besteht in der Recherche sowie der Erstellung der notwendigen Dokumente, die nach der Fertigstellung für mögliche Korrekturvorschläge und Einsprüche der Fach-Community zugänglich gemacht werden. Nach Ablauf einer Einspruchsfrist wird jeder der angebrachten redaktionellen, allgemeinen oder technischen Kommentare im Rahmen der Arbeitsgruppe diskutiert, bewertet und je nach Bedeutsamkeit in die Dokumente aufgenommen. Sobald dieser Vorgang abgeschlossen ist, wird das Dokument in der gewählten Form veröffentlicht. Eine weitere Übereinkunft wurde zwischen dem europäischen Gremium CEN/TE 438 AM und dem internationalen Gremium ISO/TC 261 geschlossen, sodass Normen und Standards, die von den jeweiligen Organisationen veröffentlicht werden, ohne weitere Änderungen übernommen werden. Auf der Grundlage dieser Abkommen haben die weltweiten Standardisierungsaktivitäten im Bereich AM in den letzten Jahren signifikant zugenommen.

Hohe Dynamik im Bereich der AM-Standardisierung

So wurden im Zeitraum zwischen November 2017 bis November 2018 mehr als 16 verschiedene Richtlinien oder Normen allein auf nationaler Ebene durch VDI und DIN angepasst oder veröffentlicht. Auf dem internationalen Plateau sind es mittlerweile etwa 50 Normungsprojekte die durch entsprechende Arbeitskreise ausgearbeitet und auf das Niveau eines technischen Regelwerks getragen werden sollen. Einen Ansatz zur Koordinierung dieser komplexen Aktivitäten stellt die Neugründung des DIN Fachbereichsbeirates NA 145-04 FBR Fachbereichsbeirat Additive Fertigung am 13. Juli 2018 in Berlin dar. Aufgabe dieses Gremiums ist die Koordination und Abstimmung der DIN und VDI Aktivitäten in Anbetracht der internationalen Standardisierung mit dem Ziel einen widerspruchsfreien und zielführenden Normungskanon zu ermöglichen.

Damit Normen und technische Richtlinien in Zukunft weiterhin für eine vereinfachte Kommunikation und konkrete Produkt-definitionen zwischen nationalen sowie internationalen Handelspartnern genutzt werden können, ist die Arbeit solcher Gremien unverzichtbar. Redundanzen müssen abgebaut und vermieden werden, sodass eine klar strukturierte einheitliche Terminologie etabliert werden kann.

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