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Industrialisierung additiver Verfahren setzt verbindliche Standards voraus

Additive Manufacturing wächst über bisherige Anwendungen im Prototyping hinaus und wird zunehmend zur Fertigung von Serienbauteilen eingesetzt. Doch für einen breiten industriellen Einsatz fehlt es an verbindlichen Standards und an Automation rund um den Druckprozess. Die Arbeitsgemeinschaft Additive Manufacturing im VDMA geht beide Themen aktiv an. Knapp 100 Mitgliedsunternehmen bringen Knowhow aus der Anwendung und Herstellung von additiver Fertigungstechnik ein, um die Industrialisierung der jungen Technologie voranzutreiben. Autor: Peter Trechow / Freier Journalist

Ziel muss es sein, globale Lösungen zu schaffen, statt gekapselte Insellösungen von einzelnen Herstellern. Standardisierte Schnittstellen und Open-Source-Software, die einen durchgängigen Datenfluss über den Gesamtprozess hinweg gewährleistet, also von der Konstruktion und Vorkette bis zur robotergestützten Bauteilentnahme und -nachbearbeitung – inklusive Dokumentation und Qualitätssicherung.

Rainer Gebhardt, Projektleiter AG Additive Manufacturing im VDMA

Ziel muss es sein, globale Lösungen zu schaffen, statt gekapselte Insellösungen von einzelnen Herstellern. Standardisierte Schnittstellen und Open-Source-Software, die einen durchgängigen Datenfluss über den Gesamtprozess hinweg gewährleistet, also von der Konstruktion und Vorkette bis zur robotergestützten Bauteilentnahme und -nachbearbeitung – inklusive Dokumentation und Qualitätssicherung. Rainer Gebhardt, Projektleiter AG Additive Manufacturing im VDMA

Läuft doch. Im A350 plant Airbus rund 150 additiv gefertigte Serienteile. Integrierte Teams aus Konstruktions-, Fertigungs- und Materialexperten suchen in Maschinen des Konzerns systematisch Bauteile und Baugruppen, die sich mit Additive Manufacturing optimieren lassen. Leichtbau, geraffte Lieferketten mit teils 75 % kürzeren Lieferzeiten und unkomplizierter Zertifizierung, perspektivisch einfache Ersatzteilversorgung per Ausdruck vor Ort sprechen ebenso für die junge Technologie, wie die Möglichkeit, Baugruppen mit teils Dutzenden Einzelteilen in einem Bauteil zusammenzuführen und so den Montageaufwand zu minimieren.

Airbus-Experte Jörg Sander, der sich im Ulmer Defense-Bereich des Konzerns mit den Potentialen der Additiven Fertigung befasst, ist überzeugt, dass die Technologie Prozess- und Lieferketten revolutionieren wird. Zumal sie reife. Dank Multi-Laser-Technik seien die Aufbauraten zuletzt um ein Vielfaches gestiegen und auch die Materialauswahl steige. Er hält es für realistisch, dass in wenigen Jahren über 1.000 Serienteile für Flugzeuge additiv gefertigt werden.

Die Möglichkeit, integrierte Funktionalität, wie Kühlmittelkanäle, auch in Werkzeugen unterzubringen, bringt zusätzliche Verbesserungen in der zerspanenden Fertigung. (Bild: MAPAL Dr. Kress KG)

Die Möglichkeit, integrierte Funktionalität, wie Kühlmittelkanäle, auch in Werkzeugen unterzubringen, bringt zusätzliche Verbesserungen in der zerspanenden Fertigung. (Bild: MAPAL Dr. Kress KG)

Industrie will Additive Manufacturing – wenn es sich verändert

Ist die Industrialisierung des Additive Manufacturing also längst im Gange? – Sander schränkt ein, dass der Anteil manueller Arbeit und die Dauer der Fertigungsprozesse noch sehr hoch seien. Wegen der begrenzten Stückzahlen und des enormen Potentials Gewicht zu reduzieren sowie zur Prozessvereinfachung sind diese Nachteile für Flugzeugbauer hinnehmbar. In anderen Branchen verhindern sie eine breite industrielle Anwendung. Allem voran im Automobilbau. So hat Volkswagen zuletzt auf mehreren Kongressen und Tagungen wissen lassen, dass man additiven Verfahren zwar enormes Potential beimesse – etwa um Bauteile für Kleinserien der Edelmarken Lamborghini, Bugatti oder Bentley zu fertigen. Oder Werkzeuge für Warmumformprozesse. Gussformen mit konturnahen Kühlkanälen. Montagehilfen. Und langfristig sogar für den Leichtbau in Volumensegmenten. Doch dafür müsse sich Additive Manufacturing verändern. Der Weg in den Automobilbau führe über vollvernetzte, automatisierte Prozessketten von der Konstruktion über das Pulverhandling bis zur Nachbearbeitung.

Die angemahnte Automation setzt Zweierlei voraus: Eine durchgängige Datenkette und verbindliche Standards. Beide Themen geht die Arbeitsgemeinschaft Additive Manufacturing im VDMA in Arbeitskreisen aktiv an. Getrieben sind die Diskussionen in den Arbeitskreisen davon, dass die Anwender unter den fast 100 Mitgliedsfirmen einig sind, dass die heutige Technik noch jede Menge Verbesserungspotentiale bietet, gerade was die Reproduzierbarkeit der Bauteile betrifft. Fehlende Standards machten es Interessenten unnötig schwer, Anlagen unterschiedlicher Hersteller zu vergleichen. Änderungsbedarf sehen sie auch daran, dass der an sich rein digitale Konstruktions- und Fertigungsprozess von so viel manueller Arbeit umgeben ist – angefangen mit der Anpassung der Datenformate, über die Materialzufuhr und Bauteilentnahme bis zur Nachbearbeitung, die in der Regel noch isoliert vom Druckprozess abläuft.

Besonders die Luftfahrtindustrie sieht enormes Potenzial in der Additiven Fertigung, stellt naturgemäß aber auch die höchsten Anforderungen. Sie ist damit der Benchmark für Standardisierung und Normung. (Bild: Airbus Operations GmbH)

Besonders die Luftfahrtindustrie sieht enormes Potenzial in der Additiven Fertigung, stellt naturgemäß aber auch die höchsten Anforderungen. Sie ist damit der Benchmark für Standardisierung und Normung. (Bild: Airbus Operations GmbH)

Standardisierung läuft an

„Die Diskussionen zwischen Anwendern, Herstellern und Zulieferern additiver Technik nehmen in unseren Arbeitskreisen Fahrt auf“, berichtet Rainer Gebhardt, Projektleiter der Arbeitsgemeinschaft im VDMA. Fertigungsdienstleister und Automatisierer seien dabei und würden ihre Erfahrungen und ihr Know-how einbringen. Das Ziel muss es laut Gebhardt sein, globale Lösungen zu schaffen, statt gekapselte Insellösungen von einzelnen Herstellern. Standardisierte Schnittstellen und Open-Source-Software, die einen durchgängigen Datenfluss über den Gesamtprozess hinweg gewährleistet, also von der Konstruktion und Vorkette bis zur robotergestützten Bauteilentnahme und -nachbearbeitung – inklusive Dokumentation und Qualitätssicherung.

Davon ist die Technologie weit entfernt. „Heute ist Additive Manufacturing im Allgemeinen eine Black-Box. Der zentrale Laserprozess ist gekapselt“, sagt Toni Schneider, Spezialist für Prozessautomation und Steuerungstechnik bei Schneider Electric. Er engagiert sich in der Arbeitsgemeinschaft, um diese Black-Box an die automatisierte Handhabungs- und Nachbearbeitungswelt anzubinden. „Es wäre wünschenswert, dass Anlagen, Roboter und CNC-Maschinen alle die gleiche Sprache sprechen und auf den gleichen Datenbestand zugreifen können“, erklärt der Experte. Mit den Mitstreitern der Arbeitsgemeinschaft möchte er zunächst auf ein Einheitsblatt hinarbeiten und von dieser Basis auf durchgängige, offene Automation. Analog zur Codesys-Welt, in der Dutzende Automatisierer und Antriebshersteller mit dem gleichen Open-Source-Datenformat arbeiten. „Wir sehen die Offenheit als klaren Wettbewerbsvorteil, da Kunden darin ein viel breiteres Lösungsportfolio finden, als es einzelne Hersteller mit proprietären Ansätzen bieten können“, sind sich Schneider und Gebhardt einig.

Leichtbau und Optimierung zählen zu den großen Themen in denen die Additive Fertigung bereits einen wichtigen Beitrag leistet.(Bild: Laser Zentrum Nord GmbH & TU Hamburg-Harburg)

Leichtbau und Optimierung zählen zu den großen Themen in denen die Additive Fertigung bereits einen wichtigen Beitrag leistet.(Bild: Laser Zentrum Nord GmbH & TU Hamburg-Harburg)

Hohe Komplexität erfordert einfachen Einstieg

Die Dynamik der Additiven Fertigung, die Vielfalt der Anlagen und Verfahren, der Graben zwischen Kunststoff- und Metallwelt machen das Vorhaben der Arbeitskreise nicht eben leichter – zumal auch das Marktpotential bisher vergleichsweise gering ist. Doch in den ersten zwei Jahren der Zusammenarbeit in der Arbeitsgemeinschaft Additive Manufacturing hat sich bei den Mitgliedern die Einschätzung verfestigt, dass die Technologie Märkte und Wertschöpfungsketten vieler Branchen tiefgreifend verändern wird. Und dass es gilt, die gute Ausgangsposition zu nutzen.

Um das Potential additiv gefertigter Bauteile zu heben, müssen Konstrukteure völlig umdenken. Das Innere von Bauteilen wird gestaltbar, Wanddicken lassen sich beinahe beliebig variieren, neue Funktionen integrieren. Die Bereitschaft, umzudenken, steht und fällt mit der Verlässlichkeit der Verfahren und Anlagen. Ingenieure brauchen verbindliche Angaben zu Bauteiltoleranzen, Oberflächeneigenschaften, Werkstoffkennwerten, zum Bruch-, Zug- oder Dehnverhalten, Sicherheitsmerkmalen. Und vor allem: Sie brauchen Sicherheit, dass diese Werte jederzeit reproduzierbar sind. Genau das, so kritisieren Anwender in der Arbeitsgemeinschaft regelmäßig, ist bisher nicht der Fall. Verarbeite man auf zwei baugleichen Anlagen identisches Pulver mit identischen Parametern, sei keineswegs sicher, dass auch identische Bauteile dabei herauskommen. Das gelte erst recht, wenn Anlagen unterschiedlicher Hersteller oder Pulver aus unterschiedlichen Quellen zum Einsatz kommen.

Im Werkzeug- und Formenbau ermöglicht die Additive Fertigung die Herstellung von Komponenten, die bislang technisch nicht umsetzbar waren. (Bild: Werkzeugbau Siegfried Hofmann GmbH)

Im Werkzeug- und Formenbau ermöglicht die Additive Fertigung die Herstellung von Komponenten, die bislang technisch nicht umsetzbar waren. (Bild: Werkzeugbau Siegfried Hofmann GmbH)

Anwender brauchen verbindliche Standards

Verbindliche Qualitätsstandards müssen her. Vergleichbarkeit der Anlagen, damit es Kunden einfacher haben, die richtige Technik für ihre spezifischen Anwendungen zu finden. Lösungsansätze der Arbeitskreise im VDMA: Einheitliche Datenblätter sollen industrielle Anlagen für Additive Fertigung vergleichbar machen; beispielsweise, indem auf Anlagen verschiedener Hersteller mit definierten Parametern mehrere Musterbauteile gedruckt werden. Prozesse und Bauteileigenschaften könnte systematisch verglichen werden. Ein erster Schritt in Richtung Qualitätsstandards, die es dann jeweils in der Kunststoff- und Metallwelt zu differenzieren gilt. Wie bei der Frage der Automation ist es wichtig, anzufangen. Die Akteure sind ins Gespräch gekommen. Der nächste Schritt ist es, dass diese Gespräche zu konkreten Ergebnissen führen.

Auch andere Normungsgremien arbeiten intensiv daran, Additive Manufacturing mit einem festen, verbindlichen Regelwerk zu untermauern – seien es Richtlinien für die Konstruktion, die Fertigungsprozesse, die Materialgüte oder die Organisation rund um die Kernprozesse. Im VDMA ist das Augenmerk derzeit stark auf die Anforderungen der Anwender gerichtet. Zwei Drittel der AG-Mitglieder sind industrielle Anwender: Sie brauchen klare Abnahmekriterien sowie praktische Empfehlungen, um additive Technik in ihre industriellen Fertigungsabläufe integrieren zu können. Oder kurz: Sie brauchen vergleichbare Anlagen, mit denen sie jederzeit reproduzierbare Bauteilqualität erzielen. Nur auf dieser Basis ist die rasche Industrialisierung des Additive Manufacturing denkbar. „Wir möchten in Anlehnung an die etablierten Standards für herkömmliche Produktionstechnik klare Richtlinien entwickeln, an denen sich Anwender orientieren können“, sagt Gebhardt. Auch wenn diese Standardisierung ein zuweilen zähes, schwieriges Unterfangen sei, führe aus seiner Sicht kein Weg daran vorbei. Denn letztlich sei auch die von der Industrie angemahnte Automatisierung nur dann umsetzbar, wenn die Anlagen im Zentrum ein Mindestmaß an verlässlicher Qualität bieten.

Standardisiertes Additive Manufacturing fügt sich in Industrie 4.0

Für die Einbindung in industrielle Fertigungsabläufe sind zudem klare Schnittstellen zu definieren. Auch dafür schafft die bewusst offene Plattform des VDMA die Basis, da Akteure aus allen Bereichen der Prozesskette mitwirken. Forscher, Materialentwickler, Anlagenbauer, Konstruktions- und Fertigungsdienstleister, Softwareanbieter und jede Menge Anwender aus unterschiedlichsten Branchen. Sie bringen ihr jeweiliges Wissen um einzelne Prozessschritte und deren Zusammenhänge ein. In diesem Austausch der Akteure findet der Knowhow-Transfer automatisch statt. Die Beteiligten lernen nach und nach, worauf es in einer optimierten additiven Prozesskette ankommt und wie sie technische und organisatorische Schnittstellen gestalten sollten. Letztlich ist genau das die Grundlage, auf der "Digitale Fabriken" wachsen können. Denn sie muss die praktischen Erfahrungen der einzelnen Akteure zusammenführen – angefangen von der funktionsgerechten Simulation, Konstruktion und Datenaufbereitung, gefolgt von der automatisierten Bereitstellung des richtigen Materials und einer robusten und präzisen Prozessführung im Schichtbauprozess bis hin zur Nachbearbeitung, die erst mit der automatisierten Verpackung und dem Versand der Bauteile endet. Parallel sollten Dokumentation und der gesamte administrativ-kaufmännische Ablauf samt Personal-, Energie-, Material- und Maschinenkosten im ERP-System mitlaufen.

Als digitales Verfahren bietet das Additive Manufacturing beste Voraussetzungen für die Einbindung in die Industrie-4.0-Welt. Das setzt allerdings voraus, dass sich alle Beteiligten auf verbindliche Standards einigen, auf deren Basis dann Planungsdaten und Prozessdaten aus allen Stadien der additiven Produktion zusammengeführt werden können. „Wir sind entschlossen, unseren Teil zum erfolgreichen industriellen Einsatz der Additiven Fertigung beizutragen“, sagt Rainer Gebhardt. Wer dabei mitmachen wolle, sei herzlich eingeladen, sich der Arbeitsgemeinschaft Additive Manufacturing im VDMA anzuschließen.

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