gastkommentar
Additive Manufacturing wird zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor
Der VDMA (Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V.) ist mit über 3.200 Mitgliedern der größte Industrieverband in Europa. Vom Kleinbetrieb über die „Hidden Champions“ des High-Tech-Mittelstands bis hin zu Weltkonzernen schätzen wird dieses Exzellenz-Netzwerk geschätzt. Sie nutzen die Verbands-Dienstleistungen, um so die eigenen technologischen Kompetenzen zu stärken und international auszubauen. Wir haben Rainer Gebhardt, VDMA-Experte für industriellen 3D-Druck und Projektleiter AG Additive Manufacturing im VDMA, zum Interview getroffen. Das Gespräch führte Georg Schöpf / x-technik
Die Vielfalt der Technologien ist groß, die Zahl der Anwendungsgebiete und das Potenzial sind gewaltig! Rainer Gebhardt, VDMA-Experte für industriellen 3D-Druck und Projektleiter AG Additive Manufacturing im VDMA
Herr Gebhardt, Sie sind VDMA-Experte für Additive Fertigung in der Industrie. Was fasziniert Sie persönlich – als einen mit herkömmlichen Fertigungsverfahren groß gewordenen Maschinenbauer und langjährigen Mitarbeiter einer F&E-Abteilung – an den Additiven Fertigungsverfahren?
Die schier zahllose Flut an neuen Möglichkeiten, die sich nun verwirklichen lassen: vom Scharnier ohne Gelenk oder einer Luftführung, die ohne komplizierte Bohrungen auskommt, Kühlsysteme mit bisher unvorstellbaren Leistungsmerkmalen bis hin zum Umstand, dass wir dank der Schichtbauweise die innere Struktur von Flügelknochen einer Möwe nachbilden können.
Der andere Aspekt, der mich begeistert, ist, dass den Anwendungsgebieten keine Grenzen gesetzt zu sein scheinen. Mich erreichen Anfragen von Bauteilen mit allerkleinsten Mikro-Strukturen für Präzisionswerkzeuge bis hin zu Reparaturen im Schwermaschinenbau für den Bergbau. Von einer Lernwerkstatt für ein SOS-Kinderdorf in Madagaskar bis hin zur High-Tech für Luftfahrt. Alle mit ihren Vorstellungen, wie sie diese Technologien für sich sinnvoll einsetzen können.
Was ist für Maschinen- und Anlagenbauer das Bahnbrechende an den additiven Fertigungsverfahren?
Additive Manufacturing-Technologien sind werkzeuglose Herstellungsverfahren, die den schichtweisen Aufbau von Bauteilen aus digitalen Daten erlauben. Diese werkzeuglosen Herstellungsverfahren verändern die Art der Konstruktion radikal und eröffnen somit vollkommen neue Gestaltungsfreiräume. Argumente für den Erfolg der Technologie und für das breite Interesse gibt es viele: neue Konstruktionsfreiräume, schnelle und werkzeuglose Herstellung von Prototypen, Potenziale zur Reduzierung von Kosten in der Lagerhaltung,Leichtbau, Flexibilität in der Produktion, Individualisierung und Logistik um nur einige zu nennen.
Wird Additive Fertigung herkömmliche Fertigungsmethoden ersetzen?
Bei aller Euphorie sollte man sich nicht darüber hinweg täuschen lassen, dass die Geometrie eines Bauteiles häufig nur ein Bruchteil der Ingenieurleistung ist. Bauteileigenschaften wie Verschleißfestigkeit, Bruchfestigkeit und Verformungseigenschaften sind Merkmale, die sich nicht einfach mit einem Datenfile und einer Handvoll Pulver erzeugen lassen. Ausgereifte Funktionsteile und hochwertige Massenteile des etablierten Maschinenbaus wird die Additive Fertigung sicherlich nicht ersetzen, aber ergänzen!
Welches sind die kritischen Faktoren, damit sich generative Verfahren auch in der industriellen Fertigung durchsetzen?
Um neue Fertigungsverfahren in der Industrie zu etablieren braucht es Vertrauensaufbau. Die Werkzeuge um dies zu erreichen sind: Industriestandards und eine solide Basis an Produktionsmöglichkeiten, sowohl was die Maschinen, als auch was die Fertigungsstätten betrifft. In diesem Zusammenhang sind in unserer Arbeitsgemeinschaft die Themenschwerpunkte gesetzt worden auf Automatisierung in der Produktion und Arbeit an Qualitätsmerkmalen die perspektivisch in Maschinenabnahmen und Zertifizierung von Fertigungsprozessen münden sollen.
Ist Additive Fertigung noch Zukunftsmusik? Gibt es Industriebereiche, in denen diese Verfahren bereits eingesetzt werden?
Additive Manufacturing ist in vielen Fällen heute schon eine hervorragende Methode, um Entwicklungsprozesse zu beschleunigen und Sonderwünsche zu erfüllen. Ein Werkzeughersteller unserer Arbeitsgemeinschaft beispielsweise fertigt seine Bohrer additiv, da herkömmlich gefertigte Bohrer in diesem Durchmesser nicht mit Kühlkanälen versehen werden können. Ein anderes Mitglied, ein Engineering-Büro im süddeutschen Raum, entwickelt für den Lebensmittelverpackungsbereich Greifersysteme. Diese Kunststoff-Systeme zeichnen sich durch Funktionsintegration aus: Mechanik und Pneumatik sind in einem einzigen additiv gefertigten Bauteil integriert und dadurch besonders leicht. Spezialanwendungen wie Leichtbau und bauraumoptimierte Konstruktionen sind vielversprechende Aktionsfelder für die generativen Verfahren. Konstrukteure, die das klassische Maschinenbau-Know-how mit den Konstruktionsmöglichkeiten additiver Methoden verbinden, haben die Nase vorn, wenn es darum geht, die Leistungsfähigkeit von Baugruppen zu optimieren.
Wie viel Know-how müssen Nutzer von Additiven Verfahren im eigenen Haus vorhalten?
Das Spektrum des Einsatzes von Additiver Fertigung bei den Mitgliedern unserer Arbeitsgemeinschaft ist unvorstellbar breit. Einige Mitglieder spezialisieren sich auf ein Verfahren und dann auch auf ein Material und optimieren diese kontinuierlich für ihre eigene Anforderung. Dieses Know-how nutzen sie dann um Werkzeuge herzustellen oder auch Bauteile, die in kleineren Stückzahlen zum Einsatz kommen. Andere wiederum, meist größere Unternehmen, bauen in ihren Entwicklungsabteilungen Know-how zu verschiedenen Schichtbauverfahren auf. Die Know-how-Träger identifizieren dann bei den eigenen Produkten Bauteile bzw. Baugruppen für die eine Fertigung mit Additive Manufacturing unter wirtschaftlichen oder performance-Gesichtspunkten sinnvoll erfolgen kann. Die tatsächliche Fertigung wird häufig an professionelle Lohnfertiger extern vergeben, die das gewählte Verfahren im Detail beherrschen. Darüber hinaus bieten auch Engineering-Büros das komplette Paket an Dienstleistung an. Diese übernehmen dann auch die Identifikation von für additive Fertigung geeigneten Bauteilen oder Funktionsgruppen, beraten hinsichtlich der Auswahl des geeigneten Verfahrens und bieten oftmals auch an, dieses Produkt zu liefern.
Vor welchen Herausforderungen stehen die Technologien heute?
Die Performance der Systeme muss sich verbessern und die Investitionskosten für die Anlagen müssen im Verhältnis stimmen. Die Materialkosten werden sich auf einem gesunden Niveau einpendeln. Da die Technologie am Anfang steht sind hier noch große Potenziale zu erwarten.
Was ist Ihnen noch wichtig?
Wichtig ist mir darauf hinzuweisen, dass es sich bei Additive Manufacturing nicht einfach nur um ein Herstellverfahren handelt, sondern vielmehr schon bei der Konzeptionierung eines Bauteils begonnen werden muss. Wer Additive Fertigung maximal gewinnbringend einsetzen möchte, wird nicht einfach ein herkömmliches Bauteil additiv fertigen, sondern ist gut damit beraten, bei der Konstruktion alle Freiheitsgrade dieser schichtenden Verfahren auszuschöpfen.
Mit dem Blick auf das, was heute schon geht, bin ich der Überzeugung, dass in wenigen Jahren Additive Manufacturing für Akteure im Maschinen- und Anlagenbau wettbewerbsentscheidend sein wird.
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