gastkommentar
Additive Fertigung im Verteidigungsbereich – eine europäische Perspektive
In 2018 präsentierte die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) ihren Mitgliedstaaten eine Fähigkeitsstudie, welche die besonderen Herausforderungen, aber auch das Potenzial der Anwendung von Additiven Fertigungsverfahren (Additive Manufacturing) in den Streitkräften beschreibt. Diese Studie führte dazu, dass einige Mitgliedstaaten sich ermutigt sahen, sich dem Thema Additive Manufacturing anzunähern.
Martin Huber ist seit 2018 in der Europäischen Verteidigungsagentur der Project Officer Logistics. Hier ist er unter anderem verantwortlich für die Einführung der Additiven Fertigung als militärische Fähigkeit auf europäischer Ebene. Er ist Werkzeugmacher und staatl. geprüfter Maschinenbautechniker sowie DI (FH) Maschinenbau. Seine beruflichen Tätigkeiten bei Siemens Sondermaschinenbau und als technischer Stabsoffizier der Bundeswehr mit mehreren Auslandsverwendungen erlauben ihm eine dezidierte Betrachtung und Bewertung des Potenzials von Additiver Fertigung im militärischen Einsatz.
Im gleichen Jahr legte die EDA zum dritten Mal den sogenannten EDA Capability Development Plan (CDP) – eine militärische Fähigkeitslückenanalyse – mit deren Prioritäten vor, in dem AM das Potenzial zugeschrieben wird, den sogenannten militärischen „logistic footprint“, also den Bedarf von logistischem Personal, Material, Transportkapazitäten und Infrastruktur im Einsatzgebiet, reduzieren zu können.
Dies führte dazu, dass die EDA-Mitgliedstaaten Teilnehmer zu einem ersten EDA Workshop im Januar 2019 entsandten, der im Wehrwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr (WiWeBw) in Erding stattfand. Man identifizierte die Themenfelder, die notwendig sind, um AM zur gemeinsamen europäischen militärischen Anwendung zu bringen. So wurde der Grundstein für ein Europäisches Projekt gelegt, das für die klassische Ersatzteilversorgung, aber auch die typischen militärischen Reparaturmethoden wie „Expedient Repair“ oder „Battle Damage Repair (BDR)“ neue Möglichkeiten eröffnen soll.
So konnte schließlich im Sommer 2023 das entsprechende Project Arrangement (PA) – ein interstaatliches Vertragswerk – durch neun Mitgliedstaaten unterzeichnet werden. Die unterzeichnenden Staaten waren Österreich, Deutschland, Belgien, Niederlande, Frankreich, Portugal, Polen, Tschechien und Norwegen.
Ziel dieses Projektes ist, neben ASTM und ISO gemeinsame Standards zu erarbeiten. Für Bereiche, in denen keine Standards verfügbar sind, zum Beispiel im Bereich von mobilen 3D-Druck-Einheiten, werden solche erarbeitet und in Kooperation mit dem EDSTAR (European Defence Standards Reference System) Mechanismus zum gemeinsamen Standard erhoben. Übergeordnetes Ziel ist es „Interoperability“ und „Interchangeability“ zu erreichen, also gemeinsame logistische Aktivitäten durchzuführen zu können, mit der Intention, größtmögliche gegenseitige Unterstützung im Bereich Ersatzteilversorgung und Reparatur zu erreichen.
Im November 2023 wurde dann zum 1st Project Arrangement Management Group Meeting (PAMG) für das EDA Projekt „Additive Manufacturing for Logistic Support (AMLS)“ eingeladen. Die Mitgliedstaaten sind durch Angehörige der jeweiligen Verteidigungsministerien vertreten. Das 1st Project Working Group Meeting (PWG) – das Meetingformat auf Expertenebene – fand wiederum im Januar 2024 in Erding statt. Siebzig Teilnehmer aus den neun AMLS Mitgliedstaaten und zwei Anwärterstaaten trafen sich zum „Kick Off“-Meeting. Sieben Arbeitsgruppen, sogenannte Working Packages (WP), fanden sich zusammen und es wurde für jedes WP eine verantwortliche Nation gewählt. Die Themen der Working Packages sind Management, Technology, Processes, Legislation & Regulations, Quality Management, Personnel & Education und Information Management & IT.
Teilnehmer des 1st Project Working Group Meeting (PWG) – das Meetingformat auf Expertenebene – das im Januar 2024 in Erding (D) stattfand.
Warum sind diese Bereiche für das Militär relevant und was soll mit gemeinsamen Standards erreicht werden?
Um das übergeordnete Ziel „Mutual Logistic Support“, also die gemeinsame und gegenseitige Unterstützung im Einsatz, erreichen zu können, sind sogenannte streitkräftegemeinsame Verfahren basierend auf gemeinsam anerkannten Standards unausweichlich. Der Coordinated Annual Review on Defence 2022 (CARD) hat dargelegt, dass die größten Synergieeffekte im Bereich der Logistik zu erzielen sind, wenn diese gemeinsam betrieben wird. Insbesondere im Bereich der Instandsetzung sind gemeinsame und gegenseitig anerkannte Verfahren der Schlüssel zum Erfolg. Hier spielen besonders die rechtlichen Rahmenbedingungen und Haftungsfragen eine entscheidende Rolle. Für additive Fertigungsverfahren gilt dies umso mehr, da dort die Frage von geistigem Eigentum eine zusätzliche und beachtenswerte Rolle spielt.
Wichtigkeit gemeinsamer Standards am Beispiel von Working-Packages
Training und Education: Die fach- und sachgerechte Ausbildung von Soldaten ist seit jeher das Fundament von einsatz- und durchsetzungsfähigen Streitkräften. Wie heißt es so schön, „Train as you fight“, also trainiere genauso, wie du auch kämpfen musst. Auf einen technischen Soldaten und AM-Anwender übertragen bedeutet das, dass er all die Verfahren kennen und beherrschen muss, die notwendig sind, um qualitativ hochwertige Arbeitsergebnisse zu erzielen, die den jeweiligen nationalen Anforderungen genügen. Was aber, wenn andere Nationen nicht dieselben Standards und Anforderungen erfüllen wie es meine eigene aber fordert? Kann dann noch ein zum Beispiel spanischer Kamerad und AM-Experte mein Fahrzeug im Einsatz reparieren und auch meine nationalen Anforderungen in Bezug auf Qualität erfüllen? An diesem Beispiel wird deutlich, wie wichtig gemeinsame Standards und Verfahren sind. Entscheidend ist hierbei, dass bereits in einem frühen Stadium die Harmonisierungsbemühungen beginnen. Wenn nationale Standards erst einmal auf Ministeriumsebene abgesegnet, Haushaltsmittel bereitgestellt und Strukturen geschaffen wurden, ist eine nachträgliche Harmonisierung ungleich schwerer.
Information Management & IT (IM&IT): Digitalisierungsbemühungen finden auch in den Streitkräften statt, wenngleich Militärs ein gesundes Misstrauen gegenüber „Bits and Bytes“ haben. Stichwort: Cyber- und IT-Sicherheit. Eine AM-Datei lässt sich nicht im klassischen militärischen Sinne bewachen und auch die Handhabung im logistischen Kontext ist eine andere. Operateure tun sich mit Digitalisierungsgedanken leichter als Logistiker. Die Handhabung, das Verfügbarmachen und der Austausch untereinander von AM-Dateien, weiteren Informationen und Parametern in einem sicheren und geschützten Raum sind entscheidend, um im Einsatzgebiet AM-Anwendungen jenseits von Reparatur nutzen zu können. Das hat Auswirkungen auf die logistischen, aber auch auf die Beschaffungsprozesse. Das Working Package IM&IT hat genau die „Digitalisierungsaspekte“ zur Aufgabe und agiert hier zusammen mit anderen WPs wie zum Beispiel dem WP Processes.
Man kann darüber streiten, ob Additive Fertigung eine sogenannte Emerging Disruptive Technology (EDT) ist oder nicht. Aus militärischer Sicht hat sie einen Reifegrad erreicht, die es den Streitkräften erlaubt, sie sich nutzbar zu machen, wenn auch nur eingeschränkt. Das Potenzial von AM-Technologie ist sicherlich noch nicht ausgeschöpft. Streitkräfte sind gerade am Anfang ihrer Reise, sich AM nutzbar zu machen. Es gilt, Erfahrungen zu sammeln und Wissen aufzubauen, um auch gegenüber der Industrie und insbesondere dem OEM als kompetenter Partner auf Augenhöhe auftreten zu können. Langfristig werden Streitkräfte nur dann das volle Potential von AM-Lösungen nutzen können, wenn der OEM auch AM-Produktionsverfahren in der Designphase berücksichtigt, was eine wichtige Rolle für logistische Konzepte bei zukünftigen Beschaffungen spielen wird. Derzeit sehen sich Streitkräfte mit der Tatsache konfrontiert, dass der Großteil des militärischen Gerätes in Nutzung aus Zeiten stammt, in denen AM keine Relevanz hatte. Dies muss sich aus heutiger Sicht ändern. Der Konflikt in der Ukraine zeigt sehr deutlich, wie AM-Lösungen die operationelle Einsatzbereitschaft von Streitkräften erhöhen können. Das EDA-Projekt „Additive Manufacturing for Logistic Support (AMLS)“ dient letztlich dem einen Zweck, die europäischen Streitkräfte auf die Herausforderungen der Zukunft im Bereich der Ersatzteilversorgung und der Reparatur von militärischem Gerät vorzubereiten und gemeinsame Nutzung und Anwendung von AM-Lösungen zu ermöglichen.
Teilen: · · Zur Merkliste