Qualifizierung von duroplastischen Pulvern bei Tiger Coatings

Additive Fertigung steht für Flexibilität im Produktionsprozess und kommt im industriellen Umfeld zunehmend zum Einsatz. Im Hinblick auf unterschiedliche 3D-Druckverfahren, die aktuell zur Verfügung stehen, ist es wichtig, dass während des Baujobs sämtliche Parameter miteinander im Einklang stehen und sowohl der Drucker als auch das Material optimal aufeinander abgestimmt sind. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Bauteile höchsten Standards entsprechen und ihrem Verwendungszweck gerecht werden.

Nach dem Druckvorgang werden die Bauteile aus dem Pulverkuchen entpackt. (Bilder Tiger Coatings)

Nach dem Druckvorgang werden die Bauteile aus dem Pulverkuchen entpackt. (Bilder Tiger Coatings)

Sarah Seiringer
Global Product Manager TIGITAL® 3D-Set bei Tiger Coatings

„Um einen ersten Eindruck zu erhalten, wie TIGITAL 3D-Set am besten verarbeitet wird, bieten wir Prozessdaten an, die auf Anlagen unterschiedlicher Hersteller ermittelt wurden. Dies ermöglicht unseren Kunden eine schnelle Qualifizierung der Materialien und reduziert die Dauer dieses Prozesses signifikant. Erste komplette Baujobs können somit rasch durchgeführt werden.“

Die Produktserien von TIGITAL® 3D-Set sind die ersten kommerziell verfügbaren duroplastischen Pulver für Selektives Lasersintern (SLS). Um die innovativen Polymere auf industriellen 3D-Drucksystemen zu qualifizieren, sind einige vorbereitende Maßnahmen zu treffen. Der folgende Beitrag führt durch den Qualifizierungsprozess und veranschaulicht in acht Schritten – von der Prüfung des Materials bis hin zur Härtung – den Weg zu fertig gedruckten Bauteilen in höchster Qualität.

Ein Salzbad während der Aushärtung kann die Maßhaltigkeit der Bauteile zusätzlich unterstützen.

Ein Salzbad während der Aushärtung kann die Maßhaltigkeit der Bauteile zusätzlich unterstützen.

Thomas Auinger
Business Development Manager TIGITAL® 3D-Set bei Tiger Coatings

„Duroplastische Materialien wie TIGITAL 3D-Set schließen die Lücke zwischen klassischen Thermoplasten wie Polyamiden und Hochleistungskunststoffen wie PEEK. Um den Übergang von der Nische zum Massenprodukt zu schaffen, sind zahlreiche kleine Schritte notwendig. Dabei ist es wichtig, agil zu bleiben und sich den Gegebenheiten des Marktes rasch anzupassen. Dieser Grundsatz gilt sowohl für die Produkte als auch für die Druckmaterialien und die Prozesse dahinter.“

1. Materialprüfung

Um neue Materialien wie TIGITAL 3D-Set auf einem 3D-Drucker testen zu können, werden im ersten Schritt vom Hersteller bereitgestellte Unterlagen zusammengefasst und überprüft. Dazu zählen beispielsweise Materialsicherheits- oder technische Datenblätter sowie Daten zur Prozessparametereinstellung und Hinweise für eventuelle Nachbehandlungsschritte.

Im Anschluss folgen visuelle Kontrollen der Homogenität und Fließfähigkeit des Materials, die Prüfung des Pulvers mittels Siebanalyse sowie die Bestimmung der Korngrößenverteilung. Je nach Material kommen zusätzliche Prüfverfahren wie die Ermittlung von Schmelz- und Kristallisationstemperaturen mittels dynamischer Differenzkalorimetrie (DSC) zum Einsatz. Diese spezifische Messung ermöglicht im Allgemeinen eine Einschätzung der Verarbeitungstemperaturen beziehungsweise des Sinterfensters.

Nach der Aushärtung bei Temperaturen bis 215 °C erreichen mit TIGITAL 3D-Set gedruckte Bauteile ihre finalen Materialeigenschaften.

Nach der Aushärtung bei Temperaturen bis 215 °C erreichen mit TIGITAL 3D-Set gedruckte Bauteile ihre finalen Materialeigenschaften.

2. Schichtauftrag & Pulverbettstabilität

Nach der visuellen Begutachtung, der Kontrolle der Korngrößenverteilung beziehungsweise der Siebung des Materials, folgt der erste Schichtauftrag. Zur Beurteilung der Pulverbettqualität kommt dabei ein beschleunigtes Kaltbeschichtungsverfahren mit Schichthöhen von 6 bis 8 mm zum Einsatz. Um zu verhindern, dass die Pulverbettqualität und im Anschluss der gesamte Bauprozess beeinträchtigt werden, passen die Experten von Tiger Coatings unterschiedliche Verfahren wie beispielsweise Rollensysteme oder Rakel optimal an die jeweiligen Prozessparameter an.

Auf die Kaltbeschichtung folgt – in gleicher Vorgehensweise – der Beschichtungsprozess bei Bauraumtemperatur. Aufgrund unterschiedlicher Drucker-Heizsysteme sowie der Latenz in der Mess- und Regelungstechnik, kann es hier zu kleinen Abweichungen kommen. Sobald das System eine neue Pulverschicht aufträgt und noch bevor die Energieeinbringung durch den Laser erfolgt, muss die Temperatur im optimalen Bereich liegen. Damit wird verhindert, dass es zu einer Verschiebung der Schichten oder zu Schichtablösungen als Folge zu hoher Laserleistung und zu geringer Bauraumtemperatur kommt.

3. Prozessparametereinstellung

Während des Entwicklungsprozesses hat das R&D-Team von Tiger Coatings intensiv mehrere Felder erforscht. Dabei fanden nicht nur die Materialeigenschaften der duroplastischen Pulver, sondern auch deren Druckbarkeit auf unterschiedlichen, freien SLS-Systemen Beachtung. In der Folge wurden die Materialcharakteristika bereits in der Produktentwicklung so angepasst, dass ein optimales Prozessfenster festgelegt und eine besonders energieeffiziente Produktion gewährleistet wird. Im hausinternen Anwendungslabor sowie im Tiger Printing Center testen Expertinnen und Experten sämtliche Materialien, drucken und vermessen verschiedene Teile in unterschiedlichen Bauhöhen und können Kunden damit bei spezifischen Aufträgen individuell unterstützen. Vor der ersten Befüllung sowie der Parametrierung der Anlage für den Bau von Referenzproben in empfohlener Höhe von 5 bis 7 mm, helfen Bauteile unterschiedlicher Druckerhersteller dabei, die optimalen Prozessparameter für Pulverkuchenfestigkeit, Laserleistung, -fokus und -geschwindigkeit sowie Entformbarkeit, Pulverhaftung am Bauteil und Grünlingstabilität zu ermitteln.

4. Vollständiger Druckjob

Nun kann der erste Druckjob in voller Bauhöhe gestartet werden. Um die Maßhaltigkeit der gedruckten Teile zu gewährleisten, ist es wichtig, Angaben zur Schwindung zu sammeln. Die Schwindungsmaße können über den Skalierungsfaktor, der das Verhältnis der Sollgröße des Bauteils zur Istgröße nach dem 3D-Druck beschreibt, ausgeglichen werden. Bei TIGITAL 3D-Set beträgt die Schwindung circa 2 %. Wie bei anderen SLS-Materialien liegen die Fertigungstoleranzen damit im Bereich von 0,2 mm.

TIGITAL 3D-Set ermöglicht hochwertige Druckergebnisse bei niedriger Bauraumtemperatur. Dies wirkt sich positiv auf die gesamte Zykluszeit aus und erlaubt einen günstigen, energiesparenden Betrieb des Druckers. Auch die Rauchentwicklung ist gering, es entstehen keine Ablagerungen in der Druckkammer oder auf dem Laserfenster. Nach Fertigstellung mehrerer Druckaufträge wird eine einfache Reinigung mit üblichem Absaugequipment empfohlen.

5. Entpackung der Bauteile

Nach erfolgreichem Abschluss des Druckjobs werden die gesinterten Bauteile, wie bei jedem anderen pulverbettbasierten Verfahren, aus dem Bauraum entnommen und entpackt. Dieser Schritt erfolgt, sobald der Pulverkuchen bei Raumtemperatur abgekühlt ist. Abhängig von der Bauhöhe, der Packdichte sowie der Bauraumtemperatur beträgt die Abkühldauer herkömmlicher Thermoplaste in etwa der Druckzeit und fällt damit entsprechend lange aus.

Da Duroplaste bei niedrigen Temperaturen von etwa 65 bis 67,5 °C gedruckt werden können, verkürzt sich bei TIGITAL 3D-Set auch die Abkühlzeit. Weitere Vorteile in Bezug auf effiziente Produktion und schnelle Lieferzeiten bieten die hohe Baugeschwindigkeit sowie die kurze Aufheizzeit, die auch bei großen Belichtungsflächen erhalten bleiben.

6. Stabilität der Grünlinge

Wurden die duroplastischen Materialien aus dem Pulverkuchen entpackt, erhält man sogenannte Grünlinge, die im Anschluss noch gehärtet werden (siehe Punkt 8). Deren Stabilität wirkt sich unmittelbar auf die Entformbarkeit der Bauteile aus. Für die nach der Härtung erreichbare Oberflächenqualität sind sowohl die Festigkeit des Pulverkuchens als auch die Haftung des Pulvers am Bauteil von entscheidender Bedeutung. Um die Qualität der gedruckten Teile zusätzlich zu erhöhen, ist deren Ausrichtung von xy in xz in der 3D-Druckkammer zu bevorzugen.

7. Nachbearbeitung

Mittels mechanischer Bearbeitung durch Pinsel und Bürsten, Druckluft oder zusätzlichem Strahlen werden mit TIGITAL 3D-Set gedruckte Bauteile komplett vom Pulver befreit. Dies geschieht – entweder voll automatisiert oder manuell via Druckluftpistole – in einer abgeschlossenen Druckluftkammer. Wurden beim Werkstück beispielsweise längere Sacklöcher oder Bohrungen mitgedruckt, kann eine zusätzliche Bearbeitung mit Bürsten oder Pinseln notwendig sein.

8. Härtung

In einem programmierbaren Temperofen werden die Grünlinge abschließend gehärtet. Sogenanntes „Übertempern“ ist dabei nicht möglich, da nach der Härtung von Duroplasten ein Gleichgewichts- oder Verharrungszustand entsteht. Die Starttemperatur bei der Aushärtung liegt bei 85 °C. Abhängig von der Bauteilgeometrie wird diese bis zu einer maximalen Dauer von circa vier Stunden stufenweise auf bis zu 215 °C erhöht. Um die Maßhaltigkeit der Bauteile zu garantieren, kann bei komplexen Strukturen ein zusätzliches Salzbad als Unterstützung notwendig sein. Nach der vollständigen Härtung werden die Bauteile durch Waschen mit Wasser vollständig von Rückständen befreit.

Werden die oben genannten Punkte Schritt für Schritt durchgeführt, ist die Qualifizierung duroplastischer Materialien rasch und unkompliziert möglich. Gemeinsam mit erfahrenen Technikerinnen und Technikern bietet TIGITAL 3D-Set die bestmögliche Unterstützung seiner Kunden während des gesamten Prozesses: vom ersten Kontakt bis zur finalen Freigabe des Bauteils.

formnext: Halle 11.0, B29

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