interview
Go! G. Kara – Keynote am 3D-Printing Forum – zum Thema Digitalisierung
Güngör Kara ist seit 2019 als Chief Digital Officer bei Ottobock für den digitalen Entwicklungsprozess zuständig. Seine weitreichende Expertise im Bereich 3D-Druck gewann der studierte Maschinenbauingenieur bei EOS. Der Digitalexperte hat dort erfolgreich Innovationszentren, Industrie 4.0-Lösungen und industriellen 3D-Druck entwickelt und implementiert. Nun verhilft er der Orthopädietechnik zum meisterhaften Sprung in die Moderne und das nicht nur mittels eines Digitalen Zwillings.
Der 3D-Druck ist kein Massenmarkt, sondern eine Masse an Märkten. Güngör Kara, Chief Digital Officer bei Ottobock
Herr Kara, Sie sind auf dem 3D-Printing Forum Anfang April in Wien mit einer spannenden Keynote vor Ort. Ihr Thema lautet „3D-Druck und Digitaler Zwilling – der industrielle 3D-Druck verbessert den digitalisierten Versorgungsprozess.“ Was genau hat es mit diesem Thema auf sich?
Das Unternehmen Ottobock setzt mit seinem eigentlichen Kernthema auf innovative Produkte innerhalb der Medizintechnik. Selbstverständlich spielen auch bei uns Themen wie die Digitalisierung und die Additive Fertigung eine immer größer werdende Rolle. Grundsätzlich möchten wir unseren Kunden, also dem Orthopädietechniker, immer eine ganzheitliche Lösung mit an die Hand geben – die sich stetig weiterentwickelt.
Ottobock setzt mit seinem eigentlichen Kernthema auf innovative Produkte innerhalb der Medizintechnik. Themen wie Digitalisierung und die Additive Fertigung spielen eine immer größer werdende Rolle.
Was bedeutet das im konkreten Fall des Patienten, der die Prothese bzw. Orthese benötigt?
Das bedeutet, wir gehen vom Scannen eines Körperteils über das Modellieren der Prothese bzw. Orthese anhand des 3D-Scans bis hin zum Fertigungsprozess – dem 3D-Druck dieses Prothesen/Orthesen-Modells – einen durchgängig digitalen Weg.
Inwiefern?
Indem der Digitale Zwilling anhand der Patientendaten eine entscheidende Rolle spielt. Wir nutzen die Daten sinnvoll, um den Entwicklungsprozess zu optimieren. Den gesamten Versorgungsprozess, von der Patientenaufnahme bis hin zur Anpassung des Produktes an den Patienten bezeichnen wir als „Digital-to-Walk“. Unser strategisches Bestreben ist ein „Digital-Twin-to-Perfect-Fitting-Prozess“. Die Daten der verschiedenen Digitalen Zwillinge, die anhand der Patientendaten gesammelt werden und im Laufe des Prozesses entstehen, können wir auch mittels KI zukünftig für Produktoptimierungen nutzen, um dann ein bestmögliches Endergebnis vorliegen zu haben. Das war in früheren, sehr analogen Versorgungsprozessen nicht möglich.
Auf den Punkt gebracht könnte man sagen, dass der technologische Fortschritt innerhalb der Additiven Fertigung und der Digitalisierung einen Mehrwert innerhalb Ottobocks und somit der Medizintechnik oder im Speziellen bei Prothesen/Orthesen herbeiruft. Stimmen Sie dem zu?
Da gebe ich Ihnen Recht und möchte gerne ein Beispiel nennen. Wir haben in den USA kürzlich eine 3D-gedruckte Unterschenkelprothese entwickelt. Sie nennt sich MyFit-TT. Das Besondere war, dass wir anhand der Digitalen Zwillinge während des gesamten Entstehungsprozesses sehr früh eine zu 100 % tragbare Prothese schaffen konnten. Diese wies keinerlei Einschränkungen im Tragekomfort auf. Die Scan-Genauigkeit und die erworbenen Algorithmen unterstützen diesen Prozess enorm.
Wo liegen nun die Herausforderungen?
Die Herausforderung für den Orthopädietechniker ist es, den seit Jahrzehnten sehr handwerklich geprägten Beruf auf eine neue Ebene zu führen. Das vorherrschende Problem ist wie so oft der fehlende Nachwuchs. Dem alten Berufsbild wird daher auch ein moderner Anstrich verpasst. Grundsätzlich ist der Digitalisierungstrend nicht aufzuhalten, in keinem Bereich. Das betrifft alle Unternehmensgrößen und alle Branchen.
In Ihrer Position als Chief Digital Officer sind Sie nun täglich mit den Weiterentwicklungen der Digitalisierung konfrontiert. Spielen Startups eine Rolle?
In meinem Bereich geht es darum, innovative digitale Lösungen zu finden, die einen Mehrwert für den Patienten bzw. unsere Kunden hervorbringen. Aufgrund dessen arbeite ich viel mit Startups zusammen. Als Ottobock profitieren wir vom innovativen Input, gleichzeitig begleiten wir diese Startups in ihrer Weiterentwicklung und geben Möglichkeiten – beide Seiten profitieren.
Ein weiterer von Ottobock ins Visier genommene Bereich sind die Exoskelette. Diese erfahren derzeit einen wahren Hype?
Das ist richtig. Denn vor allem im Bereich der Logistik und im Speziellen der Warenlager, erfahren die arbeitsunterstützenden Exoskelette eine große Nachfrage. Exoskelette schonen die physischen Kräfte des Menschen, eine Investition in den Mitarbeiter.
Bei all den herausragenden Weiterentwicklungen muss es doch auch Grenzen geben?
Diese gibt es – leider mehr, als uns vorschwebt – und das nicht nur bei den 3D-Druck-Materialherstellern in Bezug auf neu entwickelte bzw. weiterentwickelte Materialien. Diese Unternehmen investieren viel Zeit und Geld in den Weiterentwicklungsprozess. Doch in der Anwendung bedarf die Erprobung und Einführung eines neuen Materials viel Zeit und Expertise. Man muss diese „neuen“ Materialien in der Anwendung erst einschätzen können. Das entspricht oft nicht dem Gedankengang der Materialhersteller.
Eine weitere Herausforderung sind die Maschinenhersteller, die einen Eingriff in die Maschine vermeiden wollen. Soll etwa beim Bauprozess eine Materialanpassung stattfinden, so wird dies teilweise schon durch die implementierte Maschinensoftware verhindert. Dieser Konkurrenzausschluss ist für uns problematisch. Es bedarf einer grundsätzlichen neuen Denkweise, um beidseitig profitieren zu können.
Auch der 3D-Druck als „Technologie“ hat sich meiner Auffassung nach in den vergangenen drei bis fünf Jahren zu wenig weiterentwickelt. Hier ist man, was die Leistungsfähigkeit des Druckers anbelangt und dem Cost-per-Part, nicht ausreichend weiter vorangekommen.
Was ist der Grund für diese Stagnation? Fehlt es an den geeigneten Mitarbeitern oder am Geld?
Weder noch. Es handelt sich beim 3D-Druck um einen physikalischen Prozess und dieser ist nicht unendlich optimierbar. Anhand der jetzigen am Markt vorherrschenden Technologien sind wir in gewisser Weise an einem Limit angelangt. Das bedeutet aber, dass es weniger an inkrementeller Innovation mangelt als an radikalen Innovationen, die einen wirklichen Meilenstein setzen.
Bleiben Sie dennoch optimistisch?
Auf jeden Fall. Und was meine bzw. die Visionen von Ottobock anbelangt, konzentrieren wir uns auf unsere Mission. Wir holen uns das aus den Entwicklungen am Markt heraus, was wir benötigen und fügen es in unser ganzheitliches „Digital-Twin-to-Perfect-Fitting-Prozess“-Bestreben ein. Sollten Material und Maschine eine Weiterentwicklung erfahren, so werden wir dies sukzessive mitberücksichtigen, um den Mehrwert unserer Lösungen zu steigern.
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