gastkommentar

Metall-Laserschmelzen: von schwierigen Anfängen bis ins Weltall

Innerhalb dieser Reihe wurden bereits einige 3D-Druck-Verfahren für Kunststoff behandelt. Alle diese Verfahren hatten US-amerikanische „Mütter“ oder „Väter“, die mit ihrem Erfindungsreichtum und Entrepreneurship neuen Drucktechnologien zum Leben verhalfen. Bei der hier vorgestellten Technologie ist das komplett anders. Das SLM-Verfahren mit seinen vielen synonymen Bezeichnungen wurde maßgeblich in Deutschland entwickelt und es handelt sich nicht um Kunststoff, sondern um Metalle. Und wenn Kunststoffe schon „rumzicken“ können, dann Metalle erst recht. Diese technischen Hürden mussten anfangs überwunden werden, um anwendergerechte Maschinen in die Forschung und Produktion zu bekommen.

Timm Kragl ist seit 2006 in der Welt des 3D-Drucks zuhause. Heute arbeitet er als herstellerunabhängiger Berater für seriennahe Anwendungen rund um die Additive Fertigung. Der Fokus liegt auf Turn-Key-Anwendungen, der digitalen Prozesskette/Software und artgerechten CAD-Konstruktionen („DfAM“). Sein Hauptsitz ist München, aber für Kundenprojekte ist er auch immer wieder vor Ort unterwegs.

Timm Kragl ist seit 2006 in der Welt des 3D-Drucks zuhause. Heute arbeitet er als herstellerunabhängiger Berater für seriennahe Anwendungen rund um die Additive Fertigung. Der Fokus liegt auf Turn-Key-Anwendungen, der digitalen Prozesskette/Software und artgerechten CAD-Konstruktionen („DfAM“). Sein Hauptsitz ist München, aber für Kundenprojekte ist er auch immer wieder vor Ort unterwegs.

Wer hat‘s erfunden?In Anlehnung an die – älteren Semestern vielleicht noch – bekannte Werbung für Schweizer Kräuterbonbons muss die Frage gestellt werden, wer die Idee dazu hatte. Und ähnlich wie bei den Kräuterbonbons fällt die Antwort auch hier nicht ganz eindeutig aus, denn nur eine Idee ist ja noch keine wirtschaftlich relevante Innovation. Wir starten bei den frühen Anfängen. Mit dem Aachener Institut für Lasertechnik (Fraunhofer ILT) ist diese Erfindung eng verknüpft. Herr Dr. Wilhelm Meiners war 1996 auf der Suche nach einer Promotionsstelle für anwendungsnahe Forschung im Bereich Plasmaschweißen und stieß auf die Stellenausschreibung von Prof. Kurt Wissenbach, der im Begriff war, ein neues Forschungsprojekt im Bereich des metallischen 3D-Drucks zu starten. Meiners Motivation damals war „Aus Nichts etwas Neues, wirklich Neues, zu entwickeln“. Zusammen mit Dr. Andreas Gasser entwickelte das Dreigespann in den Anfangsjahren die Grundlagen für das Laserschmelzen, das übrigens bei Fraunhofer „Laser Powderbed Fusion“ (LPBF) heißt. Deren erstes Patent wurde 1996 angemeldet. Von vornherein war es das Ziel, auch exotische Materialien verarbeiten zu können wie etwa Cobalt-Chrom-Legierungen für die Dentalindustrie. Das artverwandte und seit 1989 kommerzialisierte Selektive Lasersintern (SLS) versintert das Kunststoffpulver, während das SLM-Verfahren tatsächlich aus dem Metallpulver ein Schmelzgefüge erzeugt. Auf den ersten Blick sind beide Verfahren ähnlich: Pulver in einer Prozesskammer wird mittels Laserstrahl oberhalb der Sinter- bzw. Schmelztemperatur erhitzt um eine feste Phase zu erhalten. Der Rakel oder Recoater trägt für jede neue Schicht das Pulver auf und verdichtet es. Die Herausforderungen waren enorm, denn zum einen ist das Metallpulver in der erforderlichen Partikelgröße häufig explosiv und kann nur unter Schutzgasatmosphäre verarbeitet werden. Zum anderen waren die verwendeten Laser Mitte der 90er-Jahre noch technisch anspruchsvoller in der Anwendung.

Jedes Metall bringt seine eigenen Anforderungen mit und damals wie heute gilt es für jedes neue Material den richtigen Parametersatz und die geeigneten Bearbeitungsstrategien zu finden. Diese Untersuchungen sind vielschichtig und beispielsweise abhängig von der Wärmeleitfähigkeit, der Schweißneigung, dem Reflektionsgrad usw. Und dann kommt ja noch die Stützgeometrie, die das zu fertigende Teil auf der Grundplatte verankert. Das ist anders als beim „Support“-losen Lasersintern, aber zwingend notwendig, damit sich die Geometrie durch thermischen Verzug nicht hochbiegt und zusätzlich die lokale Hitze nach unten abgeführt werden kann. Insofern sind die Stützen eigentlich Anker. In den Folgejahren lieferte das Institut unter Leitung von Prof. Wissenbach zusammen mit Gasser und Meiners viele Forschungsgrundlagen auf dem Weg zu einem funktionierenden Prozess.

Ganz in der Nähe von Aachen und fast zeitgleich hatten sich bereits zwei weitere Macher auf diesen neuen additiven Prozess mit metallischen Pulvern gestürzt und erst so wurde aus Forschung eine wirtschaftlich relevante Innovation. Die beiden Physiker Dr. Matthias Fockele und Dr. Dieter Schwarze hatten im Jahr 1990 zusammen das Unternehmen F&S gegründet und trafen 1995 die Entscheidung für ein neues Geschäftsmodell – der Vermarktung von Anlagen für den Metall-3D-Druck. Sie nannten das Verfahren „Selektives Laserschmelzen“ (englisch: SLM), ein Name, der hängen blieb. Bereits in den Jahren davor hatten beide Patente im Bereich der Additiven Fertigung von Kunststoff veröffentlicht. Nun aber Metall! Und bereits in den folgenden zwei bis fünf Jahren folgten erste Patentanmeldungen und schließlich im Jahre 1999 die erste Auslieferung einer Anlage an das Karlsruher Forschungszentrum. Damit zählen Fockele und Schwarze zu den ersten Geburtshelfern für dieses neuartige Verfahren. Aber die Komplexität der Aufgabe betrifft nicht nur das Zusammenspiel der Maschinenkomponenten, sondern auch den digitalen Verarbeitungsprozess und die bereits erwähnte Parameterfindung. Ein maschinenlesbares Dateiformat für den Schichtaufbau tauften beide gleich „fs“, in Anlehnung an deren Nachnamen.

Patent-Skizze von Wissenbach, Meiners und Gasser aus dem Jahr 1996.

Patent-Skizze von Wissenbach, Meiners und Gasser aus dem Jahr 1996.

Weitere Spieler betreten die Bühne und der Markt konsolidiert sich

Insgesamt blieb in diesen Anfangsjahren und es bleiben jede Menge Entwicklungsarbeiten für fleißige Forscher und Erfinder übrig. So betraten im Jahre 2000 das Ehepaar Kerstin und Frank Herzog die Bühne, ebenfalls fasziniert von den neuen Möglichkeiten, und gründeten die Firma Concept-Laser. Frank Herzog hatte bei der Firma seines Schwiegervaters den ersten Stereolithografie-Drucker begutachtet und übertrug das Konzept auf den Werkstoff Metall. Auch sie dachten über einen griffigen Namen für die Technologie nach und kamen mit dem Begriff „Laser-Cusing“ auf den Markt. 2001 wurden die ersten Maschinen auf der Euromold mit neu verfügbaren Werkstoffen präsentiert. Nach der geschäftlichen Trennung von Schwarze gründete Fockele 2004 die Firma Realizer in Borchen und Schwarze bildete über einen Umweg die Keimzelle für die spätere Firma SLM Solutions in Lübeck, für die er heute den Bereich Wissenschaft- und Technologie-Recherche leitet. In diesem Zusammenhang entstand durch eine Kooperation die Additive-Abteilung bei der Messtechnik-Firma Renishaw in England. Auch in Deutschland wurden weitere etablierte Firmen auf das Potential dieser neuen Fertigungsmethode aufmerksam. Der Kunststoff-3D-Druck-Pionier EOS aus Krailing und seit 1999 über eine Kooperation mit dem ILT der Laserspezialist Trumpf aus Ditzingen warfen beide ihre Hüte in den Ring. Trumpf aber zog sich zwischenzeitlich wegen fehlender wirtschaftlicher Relevanz wieder aus dem Bereich zurück, um 2015 erneut einzusteigen. Auch EOS und Trumpf wollten oder mussten aus Schutzrechtsgründen ihren Produktionsprozessen neue Namen geben. So nennt EOS das Verfahren DMLS („Direct Metal Laser Sintering“), während Trumpf sich für den Begriff „Laser Metal Fusion“ entschied.

Seit 2015 rollt eine Konsolidierungswelle über die Branche, was sich aber leider nicht auf die vielen synonymen Verfahrensnamen auswirkte. General Electric (GE) übernahm 2016 Concept-Laser für 560 Millionen Euro, nachdem der eigentliche Übernahmekandidat SLM Solutions durch den vorherigen Einstieg eines aktivistischen Investors zu teuer geworden war. Realizer gehört seit 2017 mehrheitlich zu dem japanisch-deutschen Werkzeugmaschinenhersteller DMG Mori. SLM Solutions hingegen geht erst den Weg an die Börse, um im Jahr 2022 durch die japanische Nikon für 622 Millionen Euro übernommen zu werden. Trumpf übernimmt 2021 das gemeinsame Joint Venture mit Sisma, einem italienischen SLM-Anlagenhersteller, zu 100 %. Michelin und Fives gründen in Frankreich das Metall-Druck-Unternehmen AddUp. Natürlich werden auch in Nordamerika und anderen Staaten Firmen gegründet, die mit dem Prinzip des Laser-Metall-Schmelzens das Ziel der additiven Serienfertigung verfolgen, wie etwa Xact Metal aus den USA oder Farsoon, HBD und Eplus3D aus China. Auch das 3D-Druck-Urgestein 3D Systems verstärkt dieses Technologiegebiet durch weitere Übernahmen. Das alles zeigt, wie relevant dieses Verfahren als Produktionstechnologie geworden ist und welche Erwartungen für die Zukunft damit verbunden sind. Jährlich und global werden ca. 1.500 SLM-Drucker verkauft, mit den USA als größtem Einzelmarkt. Die Entwicklung erklärt sich wegen der Anwesenheit von größeren, dort ansässigen Abnehmern aus den Bereichen Luft- und Raumfahrt und der Medizintechnik und der verbreiteten Technologieoffenheit der Amerikaner.

Selbst Multimaterialanwendungen sind mit dem LPBF-Verfahren mittlerweile realisierbar. Die Technologie wird am Fraunhofer IGCV in Augsburg entwickelt.

Selbst Multimaterialanwendungen sind mit dem LPBF-Verfahren mittlerweile realisierbar. Die Technologie wird am Fraunhofer IGCV in Augsburg entwickelt.

Technologische Trends und neue Anwendungsbereiche

Alles fing mit der Herstellung von begrenzten Geometrien in übersichtlichen Metalllegierungen an, die mittels komplexen Gas- oder Festkörperlasern aufgeschmolzen wurden. Heute bauen günstige und in unterschiedlichen Farben (Wellenlängen) und Leistungsklassen verfügbare Faserlaser die Bauteile auf. Für große Abmessungen schmelzen bis zu zwölf Laser mit je einem Kilowatt Leistung in einer senkrechten Orientierung die Teile auf (z.B. „NXG XII 600“ von Nikon SLM). Das Wettrüsten in Leistung und Größe wird auch auf dem Gebiet kleinster Strukturen betrieben. Die SLM 50 von vormals Realizer wurde schon vor fast 20 Jahren vorgestellt und war bereits damals beim Aufbau feiner Strukturen wegweisend. Aber andere Anbieter sind diesen Weg für den Einsatzbereich Medizintechnik und Elektronik weitergegangen, wie beispielsweise 3D MicroPrint aus Chemnitz, mit kleineren und gut kontrollierbaren Prozesskammern. Deren Name für das Verfahren lautet übrigens „Micro Laser Sintering“ (MLS). Für den Bereich Elektronik und werkstückangepasster induktiver Oberflächenhärtung wird heute hochreines Kupfer, teils mit sogenannten Grün-Lasern, verarbeitet. Die Farbe bezieht sich auf die Wellenlänge des Lasers zum Einkoppeln der auf das Kupfer angepassten Energie in den Prozess. Gerade die Fertigung von Induktionsspulen konnte so maßgeblich automatisiert werden, da der Spulenkörper herkömmlich aus Kupferblech in mühevoller Handarbeit erstellt werden muss.

In den Bereichen Luft- und Raumfahrt werden hauptsächlich Titan and Nickel-Basis-Legierungen als Werkstoffe für strukturell und thermischhochbelastete Brennkammern und Antriebsstufen verwendet. Die Parameterfindung ist nicht nur abhängig von Werkstoff und Bauraum, sondern auch von der zu bauenden Geometrie. Dieses Wissen wird peinlich geschützt, denn dieser Findungsprozess ist sehr aufwendig. Für die Lebensmittel- und Medizintechnik werden unter anderem Titan (in-vitro Implantate), aber auch Edelstahllegierungen (Lebensmittel) und auch Chrom-Cobalt-Legierungen (Dentaltechnik) als Werkstoffe verwendet. So stellt z.B. die Firma Stryker in Irland und den USA Tausende individualisierte Implantate auf über hundert SLM- (oder Laser-Cusing-) Druckern jährlich in einer Serienfertigung her. Spannend ist die Forschung an Werkstoffen, die sich nur oder bevorzugt durch den Metall-Druck herstellen lassen. Das sind unter anderem Refraktärmetalle, die sich durch einen hohen Schmelzpunkt bei hoher Leitfähigkeit und niedriger Wärmeausdehnung auszeichnen. Experten auf diesem Gebiet sind Unternehmen wie Heraeus aus Hanau und Plansee aus Reutte, Tirol. Auch Multimaterialien sind Besonderheiten, die sich in einem einheitlichen Prozess, das heißt ohne späteres Fügen, additiv fertigen lassen. Prof. Christian Seidel von der Hochschule München forschte mit dem Fraunhofer-Institut IGCV in Augsburg an diesem Thema und stellte 2023 zur Formnext in Frankfurt einen Anlagenprozess vor, bei dem durch Auftrag und spätere Evakuierung der Pulver fast reine Werkstoffstrukturen getrennt voneinander aufgetragen und miteinander verbunden werden können. Zukünftige Anwendungen hierfür können der Bereich Elektronik mit voneinander getrennten unterschiedlichen elektrischen Leitfähigkeiten oder magnetischen und nicht-magnetischen Werkstoff-Kombinationen sein. Auch unterschiedliche Kombinationen von Wärmeausdehnungen oder Festigkeiten innerhalb eines Bauteils für Kraftübertragung, der Aktuatorik und Sensorik sind jetzt denkbar – ganz neue Möglichkeiten für den ambitionierten Konstrukteur.

Je nach Systemanbieter schmilzt der Laserstrahl das aufgetragene Metallpulver mit unterschiedlichen Belichtungsstrategien auf. (Bild: Fraunhofer IPT)

Je nach Systemanbieter schmilzt der Laserstrahl das aufgetragene Metallpulver mit unterschiedlichen Belichtungsstrategien auf. (Bild: Fraunhofer IPT)

Mit heute verfügbaren LPBF-Maschinen lassen sich ganze Raketentriebwerke in einem Stück produzieren. (Bild: mesago)

Mit heute verfügbaren LPBF-Maschinen lassen sich ganze Raketentriebwerke in einem Stück produzieren. (Bild: mesago)

Fazit

Es zeigt sich, dass die Vielzahl an Veröffentlichungen zum Thema Selektives Laserschmelzen (SLM) und die Größe des Marktes sowie die Unterschiedlichkeit seiner Anwendungen dieses Verfahren innerhalb der Familie der 3D-Drucktechnologien zu einem der interessantesten überhaupt machen. Das wird sich wohl auch nicht ändern, wenn wir die Geschwindigkeit und das Potenzial des technischen Fortschritts betrachten, gepaart mit neuen digitalen Innovationen und der Automation des Postprocessings. Denn nach wie vor sind der hohe Kubikzentimeter-Preis für aufgeschmolzenes Material, die lange Prozesszeit und der aufwendige Nachbearbeitungsprozess zur Entpulverung und Stützgeometrie-Entfernung die Haupthinderungsgründe, damit das Verfahren einen noch prominenteren Platz in der Serienfertigung erhält. Sicherlich spielt für bestimmte Anwendungen auch das Schmelzgefüge eine limitierende, in anderen Bereichen aber auch eine förderliche Rolle. Dennoch muss zur Erschließung neuer Serienapplikationen der Preis für Bauteile weiter sinken. Neue Maschinenarchitekturen mit mehreren Lasern verfolgen diesen Weg. Auch das Entpulvern und Oberflächenbearbeiten wird durch Automation von Firmen wie Solukon aus Augsburg und Rösler aus Untermerzbach beschleunigt. Fräsbearbeitung und Drahterodieren zum Entfernen der Stützen durch einen integrierten CAD/CAM-Prozess helfen beim Erschließen neuer Anwendungsfelder für die Serienfertigung. Es tut sich viel an der Innovationsfront, z. B. durch die Digital-Strategie „auf Anhieb richtig“ von Autodesk, 3D Systems, Hexagon und anderen. Durch eine vorgelagerte Prozesssimulation wird ein möglicher Bauteilverzug digital kompensiert oder während des Bauprozesses wird das Schmelzbad überwacht und durch maschinelles Lernen werden Parameter in-situ angepasst. Es bleibt nur zu hoffen, dass mit neuen Verfahrensmodifikationen nicht noch weitere Verwirrung stiftende Abkürzungen auftauchen. Schließlich braucht es die Kreativität zur Senkung der Stückkosten in der Serie und nicht für neue Namen, die im Prinzip alle das gleiche bedeuten: „Selektives Laserschmelzen“ (SLM). Es ist eines der spannendsten AM-Verfahren am Markt und nebenbei viel komplexer als Kräuter-Bonbons.

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