gastkommentar

Fraunhofer IGCV fertigt Multimaterialbauteile in Laser-Strahlschmelzqualität

Am Standort Augsburg forscht das Fraunhofer-Institut für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik (IGCV) zwischenzeitlich seit über zehn Jahren an der simultanen Verarbeitung von zwei Metalllegierungen in einem Aufbauprozess beim Laser-Strahlschmelzen. Derzeit wird die Multimaterialverarbeitung im Rahmen der Großprojekte Multimaterial-Zentrum Augsburg (seit Juli 2017) sowie Multimat II (seit Januar 2020) mit Nachdruck zur Industriereife weiterentwickelt. Der vorliegende Artikel gibt Einblicke in die aktuelle Technologiereife und Anwendungsideen. Gastkommentar von Prof. Dr.-Ing. Christian Seidel, Fraunhofer IGCV Augsburg

Die Multimaterialverarbeitung hat sich in den letzten Jahren entscheidend weiterentwickelt. Jetzt schlägt die Stunde der Pioniere in der Anwendung. Erste industrielle Applikationen haben das Potenzial eindrucksvoll unterstrichen.

Prof. Dr.-Ing. Christian Seidel, Professor für Fertigungstechnik und Additive Fertigungsverfahren an der Hochschule München und Leiter Additive Fertigung beim Fraunhofer IGCV in Augsburg

Die Multimaterialverarbeitung hat sich in den letzten Jahren entscheidend weiterentwickelt. Jetzt schlägt die Stunde der Pioniere in der Anwendung. Erste industrielle Applikationen haben das Potenzial eindrucksvoll unterstrichen. Prof. Dr.-Ing. Christian Seidel, Professor für Fertigungstechnik und Additive Fertigungsverfahren an der Hochschule München und Leiter Additive Fertigung beim Fraunhofer IGCV in Augsburg

Die Additive Fertigung hat in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung für die Produktionstechnik gewonnen. Im Besonderen das Laserstrahlschmelzen (LBM) hat es bereits, z. B. in der Luftfahrtindustrie, der Medizintechnik, der Werkzeugindustrie und im generellen Maschinen- und Anlagenbau, in die Serienproduktion geschafft. Dabei wurden stets Bauteile aus jeweils einem Werkstoff hergestellt, z. B. Halterungen aus Titanlegierungen oder Wartungsöffnungen (Boroskopauge) aus Nickelbasislegierungen.

Eigenschaften verschiedener Metalllegierungen, Beispiel für ein Dentalimplantat als Multimaterialbauteil auf Titanbasis mit Tantalstrukturen, die spezifische Vorteile hinsichtlich der Osseointegration bieten.

Eigenschaften verschiedener Metalllegierungen, Beispiel für ein Dentalimplantat als Multimaterialbauteil auf Titanbasis mit Tantalstrukturen, die spezifische Vorteile hinsichtlich der Osseointegration bieten.

Multimaterialanwendungen erwünscht

Da die Schichtbauverfahren durch ihre Kostenstruktur und die relativ geringe Aufbaurate ohnehin überwiegend für Hightech-Anwendungen infrage kommen, wächst der Wunsch, möglichst zwei oder drei verschiedene Werkstoffe in einem Bauteil zu verarbeiten. Dadurch können werkstoffspezifische Vorteile den Bauteilanforderungen entsprechend ideal genutzt werden. So kann zum Beispiel für einen Spritzgusseinsatz ein abriebfester Werkzeugstahl mit einer gut wärmeleitfähigen Kupferlegierung kombiniert werden, wodurch sich Zykluszeiten bei der Fertigung von Kunststoffbauteilen mit hohen Aspektverhältnissen deutlich reduzieren lassen. Die Kombination aus Aluminium- und Kupferlegierungen bieten Möglichkeiten für Kosteneinsparungen im Elektromotorenbau. Des Weiteren wird am Beispiel eines Dentalimplantats der Vorteil der Kombination einer Titanlegierung mit Tantal gezeigt.

Das Fraunhofer IGCV befasst sich seit vielen Jahren mit pulverbettbasierten additiven Fertigungsverfahren, wie dem LBM (gleichbedeutend mit LPBF), zur Herstellung von metallischen Hochleistungsbauteilen. Beim LBM werden mithilfe eines Laserstrahls dünne Schichten aus Metallpulver selektiv aufgeschmolzen und verfestigt. Derzeit können mit diesem Verfahren Bauteile aus einem Werkstoff, sog. Monomaterialbauteile, hergestellt werden. Multimaterialbauteile hingegen zeichnen sich durch mindestens zwei unterschiedliche Werkstoffe aus, die fest miteinander verbunden sind. Die Fertigung von 2-D-Multimaterialbauteilen, bei welchen ein Materialwechsel zwischen aufeinanderfolgenden Schichten erfolgt, kann bereits heute bei vielen marktüblichen LBM-Anlagen durch einen zeitaufwendigen manuellen Materialwechsel erfolgen. Dies ist bei einem dreidimensionalen Multimaterialbauteil heute typischerweise nicht möglich, da hier innerhalb einer Schicht beide Werkstoffe vorliegen müssen. Zur Fertigung dieser Bauteile ist es notwendig, kommerziell verfügbare Laser-Strahlschmelzmaschinen soft- und hardwareseitig zu erweitern, um die Ablage eines zweiten Werkstoffes in der Pulverschicht zu ermöglichen. Hierfür liegen am Fraunhofer IGCV zahlreiche Konzepte vor.

Mittels Laser-Stralschmelzen gefertigtes Multimaterialbauteil aus Werkzeugstahl und einer Kupferlegierung mit komplexer Werkstoffverteilung.

Mittels Laser-Stralschmelzen gefertigtes Multimaterialbauteil aus Werkzeugstahl und einer Kupferlegierung mit komplexer Werkstoffverteilung.

Technologiereifegrad steigt stetig

Der Technologiereifegrad des Multimaterial-Laser-Strahlschmelzens ist heute erwartungsgemäß noch geringer als der des Monomaterial-Laser-Strahlschmelzens. Zwischenzeitlich konnte aber gezeigt werden, dass die Technologie für spezifische Werkstoffpaarungen, wie beispielsweise Kupfer und Stahl, funktioniert. Dies liegt zum einen daran, dass der Fertigungsprozess selbst beherrscht werden kann. Ebenso relevant ist zum anderen, dass bei dieser Materialpaarung gezeigt werden konnte, dass sich die prozessbedingt durchmischten Pulverwerkstoffe im Nachhinein wieder mit einer Reinheit von nahe 100 Prozent sortieren und damit wiederverwenden lassen. In diesem Fall wurde hierfür eine magnetische Sortierung der Pulverwerkstoffe zunächst im Labormaßstab und im Anschluss in einer industriellen Lösung mit einer Sortierrate von mehreren Kilogramm pro Stunde umgesetzt. Die Wiederverwendbarkeit der Pulver wird meist als zentrales Kriterium angesehen, da es die Wirtschaftlichkeit deutlich beeinflusst.

Zusammengefasst ist der aktuelle Stand der Multimaterialverarbeitung hinreichend reif, um Industrieapplikationen konkret zu untersuchen. Es ist zwischenzeitlich in weiten Teilen bekannt, was funktionieren kann und was nicht. Beispielsweise ist es nach heutigem Stand schwer möglich, Werkstoffe zu kombinieren, die sich in jeglicher Hinsicht – beispielsweise Dichte, Magnetisierbarkeit, Korngrößenverteilung – sehr ähnlich sind. In diesem Fall wird eine Pulversortierung schwer möglich sein und damit die Multimaterialverarbeitung wenig wirtschaftlich. Zugleich mag hier aber die Frage berechtigt sein, welchen Vorteil eine Multimaterialverarbeitung bieten würde, sind die Werkstoffe sich doch sehr ähnlich. Auch die Kombination von Metalllegierungen mit technischen Keramiken erscheint derzeit wenig sinnvoll, da die Qualität der laserbasiert verarbeiteten Keramiken (bspw. Al₂O₃) nicht den typischen Anforderungen genügt und die Verarbeitung wenig prozessstabil möglich ist. Für elektrisch isolierende (dünne) Bahnen in Metallbauteilen konnte wiederum eine Eignung nachgewiesen werden.

Zahlreiche neue Anwendungsfelder entstehen

Gemeinsam mit ersten Anwendern aus der Industrie werden am Fraunhofer IGCV branchenübergreifend Machbarkeitsstudien zur Multimaterialverarbeitung durchgeführt. Die Nachfrage wuchs dabei im Jahr 2019 sprunghaft an, denn mit den ersten erfolgreichen Machbarkeitsstudien entstehen bei den Konstrukteuren weitere kreative und innovative Anwendungsideen. Für die Jahre 2020 und 2021 haben wir bereits Zusagen zahlreicher Partner, Machbarkeitsstudien im Rahmen des Multimaterial-Zentrums Augsburg umsetzen zu können, bei denen die Ergebnisse veröffentlicht werden dürfen. Wir freuen uns daher auf Untersuchungen im Bereich der Energieerzeugung, der Raumfahrt, der Greif- sowie Messtechnik und danken für das entgegengebrachte Vertrauen. Wir werden gerne an dieser Stelle über Ergebnisse berichten und freuen uns, wenn zwischenzeitlich weitere Use Cases an uns herangetragen werden.

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