interview
Forschen mit Industriefokus
Vor gut einem Jahr wurde das Laser Zentrum Nord in die Fraunhofer Gesellschaft integriert und ist jetzt die Fraunhofer-Einrichtung für Additive Produktionstechnologien IAPT. In der Einrichtung wird industrienah über Forschungsprojekte daran gearbeitet, die Additive Fertigung reif für die industrielle Anwendung zu machen. Dazu stehen unterschiedlichste Verfahren und Technologien zur Verfügung. Das Gespräch führte Georg Schöpf, x-technik
Wir sind sehr froh, mit dem Übergang vom LZN in die Fraunhofer Gesellschaft Teil der größten Organisation für angewandte Forschung in Europa geworden zu sein. Prof. Claus Emmelmann, Mitglied der Institutsleitung, Fraunhofer-Einrichtung für Additive Produktionstechnologien IAPT
Herr Prof. Emmelmann, zum 1. Januar 2018 wurde aus dem Laser Zentrum Nord, dessen Geschäftsführer Sie waren, die Fraunhofer-Einrichtung für Additive Produktionstechnologien IAPT kurz Fraunhofer IAPT. Was hat sich für Sie in diesem Jahr verändert und was waren Ihre persönlichen Highlights?
Pünktlich zur Umfirmierung der Laser Zentrum Nord GmbH (LZN) in die Fraunhofer Gesellschaft e.V. im Januar 2018 konnten wir die Weltneuheit zusammen mit Herrn Götzke von Bugatti verkünden, das erste und größte 3D-Druck-Titanbauteil für den automobilen Serieneinsatz entwickelt zu haben. Und wie wir ein Jahr später nun wissen, hat der weltweit erste bionische Serien-Bremssattel die dynamischen Prüfstandsversuche bei über 375 km/h im Dauertest bravourös bestanden und könnte aus technischer Sicht nun tatsächlich in die Serie überführt werden. Dieser weitere große Meilenstein in der industriellen Revolution durch den 3D-Druck nach der Luftfahrtpionierleistung mit dem Titanhalter im A350 zusammen mit Herrn Sander und unseren Teams haben wir auf der Einweihungsfeier des IAPT mit über 500 Gästen auch anlässlich unserer 3-tägigen Additiven Konferenz gebührend gefeiert. Somit war das ein gelungener Einstand für die Fraunhofer Gesellschaft, die mit über 27.000 Mitarbeitern die anwendungsorientierte Forschung in Europa anführt. Dank der hervorragenden Unterstützung des Fraunhofer Vorstands und seiner Mitarbeiter sowie dem einzigartigen Engagement meines 100-köpfigen Teams, können wir Schritt für Schritt die Fraunhofer-Erfolgsgeschichte fortsetzen und noch steigern. Außerdem wird unsere Infrastruktur in den nächsten fünf Jahren weiter ausgebaut, um die additiven und autonomen Produktionstechnologien weiter voranzutreiben. Hierbei stehen Design, Prozesse, digitale Produktion mit Cloud-Applikationen, künstliche Intelligenz, smarte Produktion sowie autonome Maschinensysteme inkl. entsprechender IT-Sicherheit im Mittelpunkt.
Im SLM-Verfahren sieht Prof. Emmelmann sehr großes Potenzial, weil es industriell bereits weit verbreitet ist und die Prozesse bei den großen Herstellern qualifiziert sind und die höchsten Materialeigenschaften liefern. (Bild: Fraunhofer IAPT)
Nutzt die Industrie die Möglichkeiten, die die Fraunhofer Gesellschaft im Bereich Forschung und Entwicklung anbietet, genug?
Wir sind sehr froh, mit dem Übergang vom LZN in die Fraunhofer Gesellschaft Teil der größten Organisation für angewandte Forschung in Europa geworden zu sein. Der gute Ruf der Fraunhofer Gesellschaft erleichtert uns den Zugang zu Industriepartnern. Dennoch nutzt trotz des Hypes bislang nur ein kleiner Teil der produzierenden Unternehmen die Additive Produktion. Wir sehen hier noch großes Potential, die Unternehmen beim Einstieg in die disruptive Technologie und damit in einen radikalen Wettschöpfungswandel und die Überführung in die verschiedenen neuen Wertschöpfungsstufen und ggf. neuen Geschäftsmodelle zu unterstützen. Innerhalb unseres Industrienetzwerkes, der Additive Alliance, bieten wir unseren Partnern einen Rahmen, um sich auf der einen Seite mit den Key Experts der additiven Produktion zu vernetzen, aber auch um in Workshops die neuesten Entwicklungen sowie die wesentlichsten Fragestellungen fundiert zu diskutieren. Besonders die Erfolge der Additive Alliance, wie z. B. die Initiierung von Industriekooperationen, die Entwicklung gemeinschaftlicher Produkte der Mitglieder etc. sind Trümpfe, mit denen wir unsere Expertise noch nachhaltiger für die Industrie nutzbar machen wollen.
(Bild: Fraunhofer IAPT)
Welche Themen sind am IAPT in diesem Jahr in den Vordergrund gerückt?
Neben den etablierten Pulverbettverfahren (SLM, EBM) werden in Zukunft auch neue Technologien wie das Metall-Binder Jetting bei uns installiert, dem neben der Möglichkeit, hoch komplexe Bauteile individuell zu gestalten, das Potenzial für eine wirtschaftliche Serienfertigung zugeschrieben wird. Darüber hinaus sehen wir einen Trend hin zur Fertigung größerer metallischer Bauteile durch Draht- oder Pulverauftragsschweißverfahren im Lichtbogen- und Laserverfahren sowie von Großbauteilen aus technischen oder Hochleistungskunststoffen mittels Materialextrusion. Insbesondere der Kunststoffbereich des IAPT wird momentan zunehmend um weitere, nicht laserbasierte additive Fertigungsverfahren (z. B. FFF) erweitert. Des Weiteren haben wir die Experten, die für die Industrie die Fragen beantworten können, welche Herausforderungen und vor allem Lösungskonzepte benötigt werden, wenn die zukünftige digitale additive Produktion profitabel und serientauglich in die Realität umgesetzt werden soll.
Sie kommen ja aus dem Forschungsumfeld. Ist in der Additiven Fertigung der Technologietransfer in die Industrie bereits vollumfänglich gelungen?
Im Bereich der SLM-Technologie haben viele innovative Unternehmen investiert. Hier sehen wir aber nach wie vor großen Bedarf, den Unternehmen Schulungen in der Konstruktion und Umsetzung der additiven Serienfertigung anzubieten, da das Designdenken der meisten Konstrukteure noch immer stark von den traditionellen subtraktiven bzw. zerspanenden Fertigungsverfahren geprägt ist. Zusätzlich ist die Qualitätssicherung heutzutage noch sehr aufwändig oder gar unbekannt, was die Kosten in die Höhe treibt oder auch die Serienfertigung verhindert. Für eine breite industrielle Umsetzung haben wir neue zertifizierbare Qualitätssicherungsmethoden erforscht, die wir als effizientere Qualitätszertifizierungen derzeit mit der Luftfahrt-, Automobil- und Schienenfahrzeugindustrie gemeinsam mit Partnern entwickeln und zum Standard umsetzen wollen.
Es gibt viele Veranstaltungen und Medien, die versuchen, den Nutzen der Additiven Fertigung darzustellen und den Anwendern zugänglich zu machen. Hat die Industrie die Potenziale der Additiven Fertigung bereits erkannt oder besteht immer noch ein hoher Erklärungsbedarf?
Ich denke, dass den meisten Menschen heutzutage die Additive Fertigung ein Begriff ist – das wirkliche Potenzial haben aber viele immer noch nicht erkannt und verpassen dadurch großes Innovationspotenzial. Die mediale Präsenz, die das Thema derzeit hat, hilft aber sicherlich dabei, die Bekanntheit weiter zu steigern. Unsere Additive Akademie hat mittlerweile über 1.200 Experten ausgebildet und bietet insbesondere zur Verkürzung der Innovationszyklen in den Unternehmen vom Design über die Prozesse bis zur Fabrikplanung und Qualitätssicherung einen Wissenstransfer, den viele Unternehmen noch benötigen.
Worin sehen Sie die größten Herausforderungen bei der industriellen Nutzung der Additiven Fertigung?
Design für die additive Produktion, Materialeigenschaften, Prozessüberwachung und -stabilität, Qualitätssicherung in der Produktion, Herstellkosten und Digitalisierung über die gesamte Wertschöpfungskette.
Wo sehen Sie als ein Mann der Forschung die größten Entwicklungsschritte. Bei den Maschinen oder eher im Materialumfeld?
Sehr viele neue Technologien drängen auf den Markt. Materialentwicklung hat ebenfalls Nachholbedarf. Aus meiner Sicht fehlen jedoch clevere Designs und profitable innovative Bauteile. Diese durch die Unternehmensführung zu stimulieren ist aus meiner Sicht die dringlichste Aufgabe.
Sind die Maschinen und Anlagen in der Additiven Fertigung mittlerweile prozessstabil genug, um eine zuverlässige, reproduzierbare Ergebnisqualität zu liefern?
Dies ist eines der derzeit am meisten diskutierten Themen in der additiven Produktion. Die Notwendigkeit hierfür wurde von der Industrie mittlerweile erkannt, wir arbeiten mit den Anlagenherstellern an entsprechenden Lösungen zur Prozessstabilisierung, -überwachung und -regelung.
Welche „Hausaufgaben“ haben die Maschinenhersteller noch zu bewältigen?
Vollständige Automatisierung der Maschinen sowie durchgängige digitale und reale additive Prozessketten.
In welchen Verfahren sehen Sie für die Industrie, sowohl in Einzelteilfertigung als auch in der Serie, die größten Möglichkeiten und warum?
SLM, weil es industriell bereits weit verbreitet ist und die Prozesse bei den großen Herstellern qualifiziert sind und die höchsten Materialeigenschaften liefern. Materialextrusion, weil es ein sehr kostengünstiges Verfahren zur Herstellung metallischer wie polymerer Prototypen darstellt. Binder Jetting, da es ein hohes Potential für die Serienfertigung bereithält. Die Versprechen der Anlagenhersteller hinsichtlich Aufbauraten und Kosteneffizienz müssen sich hier allerdings noch bewahrheiten, ebenso wie die materialspezifischen Qualitätsanforderungen erfüllt werden müssen.
Teilen: · · Zur Merkliste