gastkommentar
Der DLP-Drucker wird heuer 20 Jahre alt
Vor 20 Jahren wurde der erste kommerzielle DLP-Drucker verkauft. Bis heute ist der DLP-Druck eine Technologie mit flexiblen Einsatzbereichen und viel Potenzial. Wer hätte damals die weltweite Erfolgsgeschichte vorhergesehen?
Timm Kragl ist seit 2006 in der Welt des 3D-Drucks zuhause. Heute arbeitet er als herstellerunabhängiger Berater für seriennahe Anwendungen rund um die Additive Fertigung.
Um die Antwort auf die Frage vorwegzunehmen: Die damaligen Investoren der Firma envision technologies im Oktober des Jahres 2002 zumindest nicht. Weltweit wurden allein im Jahr 2022 zigtausende DLP-Drucker verkauft, was den andauernden Erfolg dieser Technologie beweist. DLP (Digital Light Processing) steht mit seinen feinen Details und glatten Oberflächen als eine der ganz wenigen 3D-Druck-Technologien für beides: eine der umsatzstärksten Serienproduktionen im Bereich der Additiven Fertigung etwa für Tiefziehmodelle von Gebissschienen, Zahnmodelle, Hörgeräte oder Elektronikkomponenten. Es steht aber ebenso für die Hobbyanwendung im heimischen Keller beispielsweise zum Drucken von Spielzeugfiguren.
DLP-Systeme haben sehr früh das Anwendungsfeld der Schmuckindustrie für Feinguss und in Hörgerätelaboren für die Herstellung von Otoplastiken und In-Ear-Geräten erobert. Aus diesen Bereichen sind sie nicht mehr wegzudenken.
Zur technischen Entwicklung der ersten DLP-3D-Drucker
Als im Oktober 2002 bei Hendrik John, dem damaligen Gründer der Firma envision technologies, das Mobiltelefon klingelte und am anderen Ende der Leitung sein Hauptinvestor war, stockte ihm der Atem. Mit einer solchen Horrormeldung hatte er nicht gerechnet. An jenem Tag installierte er gerade an der TU Wien im Labor von Professor Jürgen Stampfl den ersten verkauften Prototyp eines DLP-Druckers, der später einmal zur Blaupause für viele weitere DLP-Drucker unterschiedlicher Hersteller werden sollte. Später entstand rund um Professor Stampfl in der Region Wien eine Keimzelle von innovativen Start-ups rund um den 3D-Druck. Der Aufbau eines typischen DLP-Druckers blieb seitdem eigentlich unverändert. Anders als bei den größeren Stereolithografie-Maschinen (SLA), die damals bereits seit 15 Jahren in Gebrauch waren, werden die entstehenden Teile über Kopf nach dem Fledermausprinzip aus einer viel kleineren Harz-Wanne Schicht für Schicht nach oben herausgezogen und nicht im Harz-Bad versenkt. Als Lichtquelle dient im Vergleich zu SLA-Maschinen kein Laser, der die zu belichtenden Konturen von oben abzeilt, sondern ein DLP-Projektor (damals Quecksilberdampflampe, heute LED), der eine ganze Schicht auf einmal von unten belichtet.
Drei Jahre vorher im Jahr 1999 war John mit der Idee angetreten, einen „3D-Drucker für Jedermann“ unter 10.000 D-Mark zusammen mit Creavis, dem Thinktank der damaligen Degussa (heute: Evonik) und der Venture Capital Gesellschaft TFG zu entwickeln. Und nun befand sich also ein Repräsentant jenes VC-Investors am Telefon, um mitzuteilen, dass jegliche Folgefinanzierungen eingestellt würden. Die Dotcom-Blase am Neuen Markt zog weite Kreise und Kapital für neue Ideen wurde auch bei Venture Capital-Gebern immer knapper. Auch Degussa zog daraufhin den Stecker.
Aber so kurz vor dem Ziel aufgeben? Dazu war Hendrik John nicht bereit. Schließlich war es ihm auf Basis einer Idee von Emanuel Mesaric innerhalb dieser drei Jahre gelungen, viele technische Klippen auf dem Weg zu reproduzierbaren Druckergebnissen zu umschiffen. Einen Prototyp DLP-Drucker hatte er ja gerade installiert. Der Plan, einen Mikro-3D-Drucker zu entwickeln und Bauteile überkopf mit alternativer Belichtungsmaske (ohne Laser) zu belichten, stammte von Emanuel Mesaric. Damals absolvierte er seine Diplomarbeit über ein Förderprojekt bei der Firma Deltamed aus Friedberg, welche 2014 von der französischen Prodways-Gruppe übernommen wurde. Allerdings experimentierte Mesaric noch mit kontrastärmeren und lichtschwächeren LCD-Projektoren bei der Patentanmeldung. John griff die Patentidee auf und ersetzte im Dialog mit Mesaric die LCD-Technologie durch die bis dahin im 3D-Druck eher unbekannte DLP-Technologie von Texas Instruments. Sie war seit Mitte der 90er-Jahre aus dem Bereich der High-End-Bildprojektion bekannt. Ein Problem in dem Prozess erwies sich als hartnäckig. Wenn überkopf gebaut wird, entstehen an der Belichtungsebene, dem Glasboden der Wanne, bei der Polymerisation starke Haftkräfte. Das führte immer wieder dazu, dass zu bauende Teile nicht oben an der Plattform hängenblieben, sondern betrüblich, halbfertig und deformiert am Wannenboden hafteten. Die buchstäbliche Lösung des Problems war eine transparente, gering haftende, elastische Silikonbeschichtung am Wannenboden, ähnlich wie bei einem Klebeband (Power-Strip). Diese Beschichtungsart und später das allmähliche Neigen der gesamten Wanne überführten die Ablösung von einem plötzlichen Ereignis in einen zeitlich verzögerten Abschälprozess. Diese und andere Innovationen wurden von John 2001 zu Patenten angemeldet.
Fortführung des Betriebs und die ersten industriellen Anwendungen
Aber was konnte Hendrik John jetzt tun, nachdem der Hauptgeldgeber abgesprungen war? Nach dem deutschen Insolvenzrecht muss ein Insolvenzantrag unverzüglich gestellt werden. Danach bleibt eine Karenzphase von weiteren drei Monaten, in der das Geschäft bei Aussicht auf erfolgreichem Weiterbetrieb fortgeführt werden darf. Und diese Aussicht gab es tatsächlich. Ein knappes Jahr zuvor hatte Hendrik John einen Anruf aus den USA von Ali El-Siblani erhalten. Dieser betrieb bereits seit einigen Jahren eine Dienstleistungsfirma für Stereolithografie-Drucker und wollte einsteigen. Hendrik John griff also wieder zum Telefon und kontaktierte El-Siblani. Einige Wochen später übernahm El-Siblani alle Assets und 90 Prozent der Anteile zum Schnäppchenpreis von 90.000 Euro. Er firmierte die Firma um in den Namen envisiontec mit John als Geschäftsführer und versprach dafür, alle Mitarbeiter zu übernehmen und weiter zu investieren. Bereits ein halbes Jahr später, im ersten Halbjahr 2003, verkaufte envisiontec die erste Serienmaschine in die USA. In den Folgejahren setzte envisiontec viele weitere DLP-Drucker an Unternehmen der Schmuckindustrie (Feinguss), Hörgeräte-Labore (Otoplastiken und In-Ear-Geräte) und im Rapid-Prototyping ab. Das Material kam damals hauptsächlich von der Firma Deltamed, welche sich immer mehr zum Pionier in der Akrylat-Forschung für DLP-druckfähige und bio-kompatible Werkstoffe entwickelte.
Mit dem Launch von einem prozessfähigen Material („eShell“ 2004 von Deltamed) und serienfähigen Druckern (Perfactory 2003 von envisiontec) wurden beide Firmen innerhalb der nächsten Folgejahre hochprofitabel. Seit 2004 zählten Hörgeräteproduzenten wie etwa GN Resound und Phonak (heute: eine Marke von Sonova) mit mehreren Hundert installierten Druckern für die Serienproduktion zu den international tätigen Kunden. Auch der Stückpreis der Maschinen war zirka 15-mal höher als die ursprünglich angedachten 5.000 Euro. Im Jahr 2007 stieg Hendrik John bei envisiontec nach Meinungsverschiedenheiten mit dem Hauptgesellschafter über die weitere Strategie aus. Ali El-Siblani blieb CEO bis 2021 und verkaufte dann 100 Prozent seiner envisiontec-Anteile an Desktop Metal für 300 Millionen US Dollar. Damit gehörte er zu den Wenigen, die das Potenzial früh erahnt hatten und später davon kräftig profitierten.
Folgeinnovationen, die auf Basis der DLP-3D-Technologie entstanden sind
Seit 2002 ist im DLP-Druck viel passiert. Ineffiziente Quecksilberdampf-Lampen wurden mit LEDs als Lichtquelle ersetzt, um eine bessere Prozessstabilität zu gewährleisten und neue Materialien zu ermöglichen. Im Zuge dessen gab es weitere technologische Meilensteine. Die Firma Lithoz, eine Ausgründung der TU Wien im Jahr 2011, entwickelte neue Beschichtungssysteme und rückseitig belichtende Trägerplatten zur Verbesserung der Bauteilhaftung beim Drucken von hochviskosen, keramisch gefüllten Materialien. Mit deren Systemen werden heute Grünlinge für filigrane Sinterkeramiken produziert. Ein anderer Innovationshöhepunkt war die Einführung der CLIP-Technologie durch die amerikanische Firma Carbon3D im Jahr 2014. Durch ein dual härtendes Materialsystem, einem 2K-Material mit Polyurethan-Matrix, entstehen heute verbesserte Materialien mit nahezu thermoplastischen Eigenschaften. Hierbei wird im Prozessfenster die Sauerstoff-Permeabilität erhöht und somit gezielt die Polymerisation limitiert, sodass später eine Nachvernetzung möglich wird. 2011 wurde in Heimsheim die Firma RapidShape und 2016 in Wien die Firma Genera gegründet. Beide Firmen fingen früh an den Postprozess weiter zu automatisieren und mit Materialgiganten wie Henkel und BASF zu kooperieren. Auch das zielt auf die Erschließung industrieller Anwendungen durch effizienteren Bedienkomfort und eine breitere Materialvielfalt. Vielversprechend ist ebenfalls der lichtvernetzende Silikon-Druck. Reproduzierbare Ergebnisse zu erzielen, ist bei sehr elastischen Materialien nicht trivial. Die Firma spectroplast aus Zürich, ein Spin-off der ETH, bietet seit 2022 Drucker auf Basis der DLP-Technologie dafür an.
Wenn Professor Jürgen Stampfl nach zukünftigen Entwicklungen auf dem Markt befragt wird, verweist er auf das Potenzial von beweglichen DLP-Projektionseinheiten (Moving-DLP). Sie können den Zielkonflikt von feiner Auflösung einerseits und großem Bauraum andererseits zur Deckung bringen. Cubicure, eine ehemalige Ausgründung der TU Wien, und die bereits erwähnte Firma Prodways forschen daran. Das erschließt vielleicht eines Tages neue Einsatzbereiche bei der Produktion von detaillierten Elektronikkomponenten, die dann zu akzeptablen Stückkosten hergestellt werden können. Es wäre die Erschließung eines Riesenmarkts, wenn die Herausforderungen einer präzisen Maschinensteuerung, eines fähigen Software-Algorithmus und auf den Prozess abgestimmte Materialien in den Griff zu bekommen sind. Der Fortschritt bei den LEDs im kurzwelligeren UV-Spektrum ermöglicht den Einsatz von Epoxidharzen anstatt reinen Akrylaten. Auch daran wird geforscht, berichtet Emanuel Mesaric. Ein ebenfalls interessantes Forschungsgebiet erschließt die Firma fortify3D aus den USA. Sie erforscht, in einem variablen Magnetfeld Compositefasern, z.B. aus Karbon, gezielt auszurichten und so spezifisch mechanische und anisotrope Eigenschaften im Submillimeterbereich, den sogenannten Voxeln, einzustellen.
Das niedrigpreisige Marktsegment bedienen bereits seit etlichen Jahren Einstiegs-Drucker wie etwa von Miicraft aus China. Sie werden jährlich zusammen in Tausenden Einheiten zu niedrigen vierstelligen oder sogar dreistelligen Preisen abverkauft.
Unzählige Firmen tummeln sich heute im High-End- und im Consumer-Bereich des DLP-Drucks. Sie nutzen noch immer dieselbe Überkopfbauweise und scheinen ihr Auskommen zu finden. Das verwundert kaum. Schließlich ist die Einstiegsbarriere für den DLP-Druck technologisch und wirtschaftlich erheblich gesunken. DLP-Drucker für unter 5.000 Euro gibt es mittlerweile längst, ganz nach dem Motto, mit dem Hendrik John 1999 antrat: Einen 3D-Drucker für Jedermann.
Teilen: · · Zur Merkliste