gastkommentar

Bioinspiriertes Bauen

Hybridbaustoff aus Kunststoff und Beton ermöglicht ungeahnte Formgebung: Das interdisziplinäre Forschungsprojekt Biological Design and Interactiv Structures, gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), untersucht die Übertragbarkeit biologischer Prinzipien auf das Design und die Herstellung von Gebäudesegmenten. Dazu werden Methoden der freien Formgestaltung, Funktionsintegration und Multimaterialfähigkeit der Additiven Fertigung am Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW) der Universität Stuttgart untersucht. Autoren: Frederik Wulle, Prof. Alexander Verl / Universität Stuttgart

Die Natur bedient sich mannigfaltiger Methoden um tragfähige Strukturen zu bilden. Am Beispiel des Schalenwachstums von Landschnecken kann man die Kombination aus flexiblem Membranstrukturen und harten Kalkschichten sehen, die als Vorlage für eine hybrides Baustoffkonzept dienen kann.

Frederik Wulle, Universität Stuttgart - Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW)

Die Natur bedient sich mannigfaltiger Methoden um tragfähige Strukturen zu bilden. Am Beispiel des Schalenwachstums von Landschnecken kann man die Kombination aus flexiblem Membranstrukturen und harten Kalkschichten sehen, die als Vorlage für eine hybrides Baustoffkonzept dienen kann. Frederik Wulle, Universität Stuttgart - Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW)

Durch die Evolution ist seit Jahrmillionen die Gestalt von Lebewesen für deren spezielle Überlebensstrategien optimiert worden. Das Resultat sind leichte, effiziente und funktionale Strukturen, bei denen häufig eine Systematik wie die Festigkeitssteigerung durch Integration von hochbelastbaren Fasern oder Leichtbauweisen mittels innerer Porosität zu erkennen ist. Neben generellen Prinzipien werden in diesem Projekt explizite, biologische Systeme untersucht und in geeignete Modelle abstrahiert. Diese dienen als Inspiration, die auf technische Strukturen und deren Fertigung übertragen werden sollen.

Die Herstellung der Werkstoffhybride orientiert sich am Beispiel des Schalenwachstums von Landschnecken.

Die Herstellung der Werkstoffhybride orientiert sich am Beispiel des Schalenwachstums von Landschnecken.

Schneckenhaus als Ideengeber

Ein konkretes Beispiel ist etwa das Schneckenschalenwachstum als Ideengeber für eine Weiterentwicklung der Additiven Fertigung. Schneckenschalen von Landschnecken bestehen aus einem Materialverbund von einer dünnen Proteinschicht, die Periostrakum genannt wird, und einer sich daran anlagernden Calciumcarbonatschicht, welche die Festigkeit und Stabilität der Schale gewährleistet. Dabei wird das Periostrakum, das spezielle Oberflächenstrukturen und -eigenschaften aufweist, als Membran über Drüsen abgesondert. Die Muskeln der Schnecke formen das Periostrakum, bis dieses aushärtet und schließlich die Schalengeometrie vorgibt.

In diesem biologischen Konzept stecken innovative Ansätze, die auf die Übertragbarkeit auf das Drucken von leichten, funktionalen Gebäudesegmenten untersucht werden. Dazu gehört in erster Linie die systematische Trennung eines Bauteiles in eine formgebende und eine sich daran anpassende, tragende Schicht. Diese werden entlang des Formverlaufs additiv erzeugt und ändern spezifische Eigenschaften mit der Zeit. Speziell die Nachformung der formgebenden Schicht nach dem Drüsenaustritt eröffnet viele Möglichkeiten in der Form- und Oberflächenherstellung.

Versuchskörper – 4 cm breite formdefinierende HDPE-Membran, die zur besseren Anbindung an den gegossenen Beton mit Basaltfasern verstärkt wurde.

Versuchskörper – 4 cm breite formdefinierende HDPE-Membran, die zur besseren Anbindung an den gegossenen Beton mit Basaltfasern verstärkt wurde.

Hybrid aus Kunststoff und Beton

Die technische Realisierung der formgebenden Schicht erfolgt hierbei auf Grundlage des Fused Deposition Modeling Verfahrens (FDM), welches an das abstrahierte Modell angepasst wird. Dabei wird das Material (HDPE) nicht wie gewöhnlich schichtweise mit einer festgelegten Druckrichtung aufgebracht, sondern entlang einer geplanten 3D-Bahnkurve. Dabei wird die Designsoftware mit der Anlagensteuerung verknüpft, die das Erstarrungs- und Schwindungsverhalten des Kunststoffes mitberücksichtigt.

Herkömmlicherweise hat die Düse einer FDM-Anlage einen kreisförmigen Querschnitt, um möglichst große, geometrische Vielfalt von gedruckten Werkstücken zu ermöglichen. Dieser wäre jedoch für das Drucken von Membranen nicht effektiv, weshalb auf eine Extruderschnecke mit angeflanschter Breitschlitzdüse zurückgegriffen wird. Die ausgedruckte Schicht kann dabei wie beim biologischen Vorbild durch diverse Stempel, Walzen etc. im viskosen Zustand nachverformt werden. Um eine Formstabilität des Kunststoffes zu erzielen, wird das Extrudat mit gezielter Luftkühlung ausgehärtet. Dadurch kann eine Freiformmembran gedruckt werden, welche die Geometrie des Composites definiert. Räumlich verzögert erfolgt dann die Herstellung der tragenden Schicht.

In diesem Forschungsprojekt wird der technische Druckprozess der tragenden Schicht mit einer Betonspritzanlage realisiert, die Beton auf die Kunststoffoberfläche aufträgt. Diese Drucktechnologie wird vom Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruierten (ILEK) untersucht. Die Anlage kann gradierten Beton auftragen, was bedeutet, dass die Dichte des Betons und damit auch die lokalen Festigkeitswerte in einem Bauteil, unter Zuhilfenahme von Luft- und Styroporeinschlüssen, einstellbar sind. Diese können für eine belastungsorientierte Topologieoptimierung genutzt werden.

Untersuchung von biologischen Vorbildern für die Anwendung innerer Porositäten von architektonischen Bauteilen. Die Struktur wurde als Negativform mittels FDM-Verfahren gedruckt, mit Beton ausgegossen und anschließend durch Erhitzen aus der Form extrahiert.

Untersuchung von biologischen Vorbildern für die Anwendung innerer Porositäten von architektonischen Bauteilen. Die Struktur wurde als Negativform mittels FDM-Verfahren gedruckt, mit Beton ausgegossen und anschließend durch Erhitzen aus der Form extrahiert.

Signifikante Gewichtseinsparung

Für einfache Balkenelemente ist mit dieser Technologie eine Gewichtsersparnis von 50 % bei gleichen Festigkeitseigenschaften erzielbar. Um die Anbindung der tragenden an die formgebende Schicht zu verbessern, wurden mittels konventioneller FDM Drucktechnik freihängende Schlaufen aus ABS auf die Membran gedruckt, die ebenfalls durch externe Kühlung Formstabilität erhalten. Um diesen Effekt zu optimieren, arbeiten die Wissenschaftler an einer gezielten Integration von matrixgebundenen Kohlenstoff- und Glasfasern zusammen mit dem ITFT Denkendorf. Diese Weiterentwicklungen sollen auch in Hinsicht auf die Herstellung der Membran und der Betonverarbeitung erfolgen, um die Festigkeitseigenschaften zu erhöhen.

Ziel: Druckkopf für Simultane Fertigung

Die bisher getrennten Fertigungsschritte werden in einem modularen Druckkopf integriert und sollen über eine zentrale industrielle Steuerung betrieben werden. Das kontinuierliche Extrudieren einer Kunststoffschale in Kombination mit dem Betonspritzprozess und zusätzlichen Beschichtungsverfahren und Faserintegrationen stellt eine Herausforderung in fertigungstechnischer Realisierbarkeit und steuerungstechnischen Lösungen dar.

Neben der fertigungstechnischen Fragestellung wird herausgearbeitet, inwieweit durch Maßstabseffekte die biologischen Phänomene, Herstellungstechniken und der Werkstoffeinsatz Rückwirkungen aufeinander haben und ob diese gegebenenfalls modifiziert werden müssen, um geforderte Eigenschaften und Funktionen im hochskalierten Zustand zu gewährleisten. Ziel dieser Untersuchung sind steuerungstechnische Optimierungen des Druckprozesses und die Skalierung des Fertigungsverfahrens für den architektonischen Einsatz. Letzteres könnte beispielsweise durch die Einbindung des Druckkopfes in eine Seilkinematik realisiert werden. So soll sich die Herstellung von bioinspirierten Gebäudeteilen oder Segmenten mittels Additiver Fertigung im Bauen der Zukunft etablieren.

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