Cubicure Cerion: Das digitale Zeitalter der Kunststofffertigung
Mit der Markteinführung der Großanlage Cerion® gelingt dem Wiener Unternehmen Cubicure der Sprung zur industriellen additiven Serienfertigung von Kunststoffbauteilen. Damit erhalten Industriebetriebe den noch fehlenden Baustein, um ihre Produktionsketten vollkommen zu digitalisieren und die additive Fertigung macht einen wesentlichen Schritt in Richtung industrielles Standardverfahren.
Cerion® ist in seiner Dimension und seinem Durchsatz skalierbar. Das ermöglicht endlich die additive Serienfertigung von Kunststoffbauteilen. (Alle Bilder: Cubicure)
Dr. Robert Gmeiner
Geschäftsführer und CTO bei Cubicure GmbH
„Cerion ist der wesentliche Durchbruch in der großtechnischen Skalierung von lithographischen Druckprozessen.“
Schon seit einiger Zeit ließ das 3D-Druck-Unternehmen durchklingen, den Schlüssel zum Seriendruck von Kunststoffbauteilen in der Hand zu halten. Nun bringt Cubicure offiziell ihre Produktionsanlage für die additive Serienfertigung auf den Markt. Cerion ist der große Wurf des Unternehmens mit Wurzeln in der Hochschulforschung, das in den letzten Jahren besonders durch selbstentwickelte Materialien auf sich aufmerksam gemacht hat.
2015 von Dr. Robert Gmeiner und Universitätsprofessor Dr. Jürgen Stampfl als Spin-off der TU Wien gegründet, vertreibt Cubicure inzwischen innovative Prozesse, Anlagen und Materialien für den industriellen 3D-Druck. Das Unternehmen gilt als Koryphäe auf dem Gebiet der lichthärtenden Kunststofftechnik. Das liegt nicht nur an der hohen Materialkompetenz des Unternehmens, sondern auch an dem von Cubicure patentierten Hot-Lithography Verfahren.
Die Prozessführung mit überfahrendem Druckkopf ist ein absolutes Novum bei harzbasierten Systemen. Über eine den Druckkopf umlaufende Trägerfolie wird das Photopolymer in Dünnschichten in die Prozesszone transportiert.
Der Prozess definiert das Material
Hot Lithography ist eine Art der Stereolithographie, bei der mithilfe spezieller Beheizungs- und Beschichtungsmethoden hochviskose Photoharze bei Temperaturen von bis zu 120° C verarbeitet werden. Das ermöglicht die Herstellung äußerst schlagzäher, temperaturbeständiger Kunststoffe, die langfristig den Praxistest bestehen. Auf 3D-Druckern der Caligma-Serie werden deshalb laufend Präzisionsbauteile in Teileserien mit mehreren hundert Stück gedruckt. Diese Teile müssten sonst aufwendig im (Mikro-)Spritzguss gefertigt werden. Künftig können gedruckte Komponenten, die sich als Prototypen und Vorserien bewiesen haben, auf dem Cerion-System aus demselben Material in Großserien gefertigt werden. Cubicure will die digitale Produktion von der Prototypisierung bis hin zur industriellen Serienfertigung komplett abdecken und damit das digitale Fertigungszeitalter einläuten.
Eine Mitarbeiterin der Qualitätssicherung begutachtet die Güte der gedruckten Bauteile. Die Produktion der Photopolymere bei Cubicure ist seit 2020 TÜV-zertifiziert.
Der Schritt in die additive Massenfertigung
Die klassische Stereolithographie (SLA) sowie artverwandte lichthärtende Verfahren wie DLP begeistern seit Jahrzehnten mit präzise gedruckten Objekten aus Kunststoffen. Lang waren es vor allem die bescheidenen Materialeigenschaften der einsetzbaren Kunstharze, die dieser Verfahrensgruppe den großen Sprung in die Produktionswelt verwehrt haben. Eine Tatsache, die sich in den letzten Jahren aber deutlich gewandelt hat: mittlerweile stehen technische Kunststoffe mit vielfältigem Eigenschaftsprofil für den additiven Seriendruck bereit. Die bisher größte Hürde der lichthärtenden Druckverfahren wird dadurch zunehmend überwunden. Nun stellt sich jedoch die Frage, wie genau der massenhafte lithographische Druck von Serienteilen, seien es Gleichteile oder individuelle Geometrien, prozesstechnisch stattfinden soll: Die bisher in Nischenindustrien eingesetzte, massenhafte Parallelisierung von Einzelmaschinen wird in vielen Anwendungsbereichen nicht praktikabel sein. Die Vorgaben der Fertigungstoleranzen sind strikt und der Betrieb von Produktionshubs mit hunderten Maschinen ist sehr komplex. Die Limitierung der Bauräume und der damit einhergehende geringe Prozessdurchsatz stellen das zweite technologische Bottleneck dar, das den 3D-Druck bisher kleingehalten hat.
In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch das Team von Cubicure seit den Gründungsjahren und arbeitete fieberhaft an möglichen Lösungen. Nun antwortet Cubicure auf gewohnt eigene Art: die Etablierung einer völlig neuartigen Prozessführung zum lichthärtenden, additiven Aufbau von Serienteilen.
Das futuristisch anmutende Gehäuse lässt erahnen, dass sich dahinter eine zukunftsweisende Technologie verbirgt.
Cubicures neue Produktionsanlage Cerion
Die Technologie wird der Öffentlichkeit nun als serienreife Großmaschine Cerion vorgestellt. Bei einigen Pilotkunden von Cubicure ist die Anlage bereits im Einsatz. Aus prozesstechnischer Sicht ist es eine völlige Abkehr von bekannten Konzepten wie Harzbädern oder Materialwannen. Zudem ist der Prozess nicht auf eine Belichtungstechnologie beschränkt. Vor allem ist Cerion eins: in seiner Dimension und seinem Durchsatz skalierbar. Grund genug für das x-technik-Team, diesen Ansatz ganz genau unter die Lupe zu nehmen und Cubicure noch vor Produktlaunch einen Besuch abzustatten.
In der futuristisch anmutenden Maschine suchen wir vergeblich nach einem Platz für Materialkartuschen oder einem Harzbecken, das gefüllt werden will. Bei Cerion werden ganze Harzfässer angeschlossen, direkt an der Maschinenseite und wie an einer Tankstelle. Spätestens jetzt wird klar, dass die Wiener es ernst meinen. In einem nächsten Schritt beobachten wir, wie eine große Bauplatte im Inneren der Maschine in Position gebracht wird. Groß ist in diesem Fall nicht übertrieben: Auf einem Meter mal dreißig Zentimeter baut das Cerion-System Bauteile in Wunschgeometrie auf. Hier zeigt sich die besondere Stärke dieser neuen Technologie. Cerion bedient sich eines völlig neuartigen Druckkopfes, der über das Baufeld gleitet und alle Aufbauprozesse kombiniert. Über eine den Druckkopf umlaufende Trägerfolie wird das Photopolymer in Dünnschichten in eine Prozesszone transportiert. Diese wird laufend an der Unterseite des Druckkopfes gebildet und bewegt sich mit diesem über die Bauebene. Im Inneren des Druckkopfes projiziert eine Light-Engine, also eine aktive Lichtmaske, ein dynamisches Bild auf die eigentliche Bauzone und bringt so die Information zur Bauteilgeometrie in den flüssigen Kunststoff ein. Die Bauteile entstehen zwischen dem Druckkopf und der darunterliegenden Bauplatte, welche sich für jede weitere Bauschicht entsprechend absenkt.
Mit der neuen Produktionsanlage von Cubicure können sowohl größere als auch kleinere Objekte und Präzisionsbauteile in Serienfertigung gedruckt werden.
Stereolithographie neu gedacht
„Das ist der wesentliche Durchbruch in der großtechnischen Skalierung von lithographischen Druckprozessen. Die Abkehr von Tauchbadprozessen mit freier Harzoberfläche oder Platte-Platte-Druckkonzepten, bei denen das Bauteil immer zwischen zwei starren Ebenen gebildet wird und in der Folge von der Wannenebene abgelöst werden muss, macht industriellen Seriendruck nun endlich möglich“, freut sich Geschäftsführer und CTO Dr. Robert Gmeiner. Lange haben er und sein Team an diesem Konzept gearbeitet, bis der wesentliche Nachweis dazu erbracht war. „In diesem Druckprozess erfolgen sowohl der Materialeinzug als auch das Ablösen der gedruckten Kunststoffschichten vom Trägermedium in skalierbarer Art und Weise. Die Prozesskräfte und viele andere Faktoren im Aufbauprozess sind nun von der Bauteilgeometrie und der Bauraumauslastung entkoppelt. Auch Breite und Länge eines Baufeldes machen in der Prozessperformance keinen Unterschied mehr. Nach drei Jahrzehnten Stereolithographie ist ein Prozess gefunden worden, der industriell skalierbar ist.“
Soweit zur technischen Erklärung. Man muss das Ganze selbst gesehen haben. Im Betrieb schnurrt der überdimensionale Druckkopf gemütlich über die Bauebene hinweg, einzig die eindrucksvollen Geometrieabdrücke am Folienauszug lassen vermuten, dass gerade wieder eine Hundertschaft an Bauteilen additiv gewachsen ist. In seiner schieren Dimension katapultiert das Verfahren den Durchsatz im 3D-Druck nach vorne: Eine Schicht ist in einer knappen Minute platziert, vollkommen unabhängig von der Auslastung der Bauplatte oder der Bauteilgeometrie. So werden auf dem enormen Baufeld simultan einige sehr große oder tausende Kleinstteile gedruckt. Die optische Präzision beträgt dabei 50 x 50 µm² und bewegt sich damit trotz der Verfahrensgröße im Spitzenfeld konventioneller lithographischer Verfahren. „Durch die Art der Prozessführung mit überfahrendem Druckkopf und präzisester Belichtungssteuerung gibt es über das Baufeld verteilt keine Varianz in der Fertigungsgenauigkeit der Bauteile“, bestätigt Dr. Bernhard Busetti, Prozessingenieur und Produktmanager für AM-Systeme bei Cubicure. Zudem profitiere auch die Reproduzierbarkeit der Druckjobs enorm vom neu entwickelten Verfahrensansatz. Cerion setzt darüber hinaus auf Cubicures bewährte Hot Lithography-Technologie. Dadurch steht dem neuen System schon jetzt ein breites Prozessfenster zur Verarbeitung hochmolekularer Ausgangssubstanzen zur Verfügung.
Mit Cubicure-Technologie gedruckte Kunststoffteile sind von Spritzgussteilen oft nicht mehr zu unterscheiden und für den Serieneinsatz in verschiedensten Industrien geeignet.
Hochleistungskunststoffe für die Industrie
Molekulargewicht, Funktionalität und chemische Beschaffenheit der Kunstharze, die mit Cerion verarbeitet werden, können dank Hot Lithography maßgeschneidert werden. So können Werkstoffe hergestellt werden, deren Eigenschaften Thermoplasten ähneln. Mit Cubicure-Technologie gedruckte Kunststoffteile sind dadurch von Spritzgussteilen oft nicht mehr zu unterscheiden und für den Serieneinsatz in verschiedensten Industrien geeignet.
Cubicure bietet aktuell ein Portfolio aus fünf selbst entwickelten Photopolymerprodukten an. Sie sind speziell auf ihre unterschiedlichen Applikationsbereiche abgestimmt und werden direkt bei Cubicure produziert. Im Prüflabor des Unternehmens wird die Produktion der Photopolymere seit 2020 auch TÜV-konform evaluiert, um die Eignung der Kunststoffe für die Serienfertigung zu garantieren. Die neuesten Materialien der Cubicure-Produktfamilie sind ThermoBlast und Evolution HI, welche sich besonders in den Bereichen Brandbeständigkeit und Schlagzähigkeit auszeichnen. „Durch seine Flammbeständigkeit und die ausgezeichneten elektrischen Isolatoreigenschaften eröffnet ThermoBlast neue Anwendungsfelder für unsere Hot Lithography-Technologie in den Zukunftsbereichen Elektronik und Mobilität“, sagt Dr. Markus Kury, Produktmanager für Materialien bei Cubicure. „Evolution HI ist eine echte Alternative zu ABS. Sogar Schnappverbindungen können damit additiv gefertigt werden. Die Zähigkeit dieses Photopolymers ist im 3D-Druck herausragend.“
Auch das seit 2017 am Markt befindliche und bewährte Caligma Drucksystem bekommt ein modernes Facelift.
Applikationsspezifische Materialentwicklung
Das Forschungsteam des Unternehmens arbeitet stets daran, Materialien zu entwickeln, die Bedürfnisse von Industriebetrieben abdecken. Manche Firmen treten mit eigenen Großprojekten an Cubicure heran, um die Machbarkeit gewisser Bauteilserien prüfen zu lassen. Dr. Christian Gorsche, Head of Materials bei Cubicure, erklärt: „Anforderungen an die Materialperformance sind sehr anwendungsspezifisch und von Kunde zu Kunde stark unterschiedlich. Hot Lithography ermöglicht uns, industrietaugliche Materiallösungen für gezielte Anwendungen über ein breites Prozessfenster bereitzustellen. Durch die Skalierung der Produktionskapazität bietet Cerion nun eine nachhaltige Fertigungsplattform für die Werkstoffe und Anwendungslösungen der Zukunft.“ Auch in Entwicklungskooperationen entstehen neue Werkstoffe, so beispielsweise in Zusammenarbeit mit dem deutschen Chemiekonzern Evonik oder der Technischen Universität Wien.
Wie bisher wird auch die Caligma-Baureihe weiterhin als Produktionsanlage für die Additive Fertigung von Prototypen und Klein- bis Mittelserien im Einsatz sein. Ein Blick auf Bestandskunden von Cubicure zeigt eindrucksvoll die Flexibilität der Anwendungen. So nutzen beispielweise das Automotive Zulieferunternehmen Henn, der Hersteller von Reinigungsrobotik IBAK, der Medizintechnikspezialist MarcoArray Diagnostics und der Mess- und Maschinenbauer ZwickRoell mit Caligma gefertigte Bauteilserien.
Die Zukunft der Kunststofffertigung
Ein wesentlicher Baustein für die Digitalisierung des industriellen Produktionsprozesses ist gelegt. Dem Massendruck von Hochleistungspolymeren steht nun nichts mehr im Weg. Der nächste Schritt führt in ein Zeitalter der werkzeuglosen Fertigung.
Eine Chance, sich selbst ein Bild von der Zukunft des lichthärtenden 3D-Drucks und der Innovationskraft von Cubicure zu machen, gibt es Mitte November auf der Formnext in Frankfurt. Besucher dürfen gespannt sein, die Dimensionen dieser kolossalen 3D-Druckanlage live zu erleben.
formnext: Halle 12.1, F39
Teilen: · · Zur Merkliste