RENA Hirtisieren®: Keine Angst vor innenliegenden Stützstrukturen

Ist der komplett stützstrukturfreie 3D-Druck, trotz aller damit verbundenen notwendigen Kompromisse, die einzige mögliche Zukunft für komplexere metallische AM-Bauteile? Oder gibt es eine Möglichkeit, Stützen aus Innenräumen und Kanälen sicher zu entfernen? Mechanische Methoden greifen hier nicht, die Lösung liegt in einem chemisch-elektrochemischen Ansatz. Von Wolfgang Hansal, Rena Technologies Austria

Querschnitt durch das Bauteil, Blick auf die Innenseite links vor und rechts nach dem Hirtisieren®. Alle Stützstrukturen sind entfernt, die Oberfläche ist eingeebnet und glänzend.

Querschnitt durch das Bauteil, Blick auf die Innenseite links vor und rechts nach dem Hirtisieren®. Alle Stützstrukturen sind entfernt, die Oberfläche ist eingeebnet und glänzend.

Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, mit der sie entstanden sind – Albert Einstein. Die Freiheit des Designs, das Realisieren des bisher Unmöglichen, ist eine der ganz großen Faszinationen des (metallischen) 3D-Drucks. Von der Theorie her kann jede Form, jede noch so komplexe Kanalstruktur über das gezielte thermische Aneinanderfügen von Metallpartikeln hergestellt werden. Je mehr der Anwender in diesen neuen Pool an Möglichkeiten eintaucht, desto mehr erkennt er die Vielfältigkeit der potenziellen Anwendungen.

Erst auf den zweiten Blick werden gewisse Randbedingungen sichtbar, welche doch eine Einschränkung der Freiheit mit sich bringen. Um stark überhängende Strukturen realisieren zu können, muss das Absinken des gedruckten Baukörpers in das Pulverbett über geeignete Stützstrukturen verhindert werden. Nur über solche Hilfsmittel kann in den herkömmlichen Pulverbettverfahren die geometrische Korrektheit des gedruckten Bauteils sichergestellt werden. Dies betrifft insbesondere auch größere Innenräume und Kanäle. Im Allgemeinen erfüllen die Stützstrukturen auch die Aufgaben zu Wärmeableitung und zur Fixierung des Bauteils an der Bodenplatte bei Auftreten innerer Spannungen im Bauteil.

3D-gedruckter Verteiler nach dem Druck und der Grobreinigung aus der Vorderansicht und Aufsicht (Design CADS Additive, Rena Technologies Austria). Innenliegende Stützstrukturen können durch die Öffnungen mechanisch unmöglich entfernt werden.

3D-gedruckter Verteiler nach dem Druck und der Grobreinigung aus der Vorderansicht und Aufsicht (Design CADS Additive, Rena Technologies Austria). Innenliegende Stützstrukturen können durch die Öffnungen mechanisch unmöglich entfernt werden.

Stützstrukturentfernung im Inneren eines Bauteils – ein unlösbares Problem?

Wie in diesem Medium schon beschrieben und jedem Anwender bekannt, ist es möglich, diese Stützstrukturen von der Außenseite der Bauteile mechanisch zu entfernen. In Innenräumen oder (nicht gerade verlaufenden) Kanälen besteht eine solche Möglichkeit jedoch nicht. Um diese scheinbar unüberwindbare Hürde auf dem Weg zur Serienproduktion komplexer Innengeometrien meistern zu können, richten insbesondere einige Druckerhersteller ihre Entwicklungsanstrengungen auf eine Reduktion der benötigten Stützstrukturen mit dem Fernziel eines stützstrukturfreien Drucks. Dies wird oftmals als einziger Lösungsweg dargestellt, Applikationen können jedoch mangels einer tatsächlich erfolgten Umsetzung oftmals nicht realisiert werden. Das stützstrukturfreie Drucken ist im Status quo jedoch selbst im Falle einer stabilen Geometrie komplexer Innenräume mit starken Kompromissen verbunden (Thema: angepasste Geometrie, z.B. im Querschnitt tropfenförmige Kanaldurchmesser) und benötigt allzu oft an entscheidenden Positionen eben doch noch Stützstrukturen. Zusätzlich ist mit einer Reduktion der sog. Supports immer eine Zunahme des unerwünschten Downskin-Effekts verbunden. Diese Stalaktiten ähnelnden Strukturen, welche durch bei Erstarren des geschmolzenen Materials leicht ins Pulverbett absinkenden Tropfen an der nach unten gewandten Oberfläche des 3D-gedruckten Bauteils entstehen, sind in fast allen Anwendungen störend und müssen in der Regel entfernt werden. Dies ist an Außenflächen leicht möglich, nicht jedoch in nicht-zugänglichen Innenräumen. Somit schließt sich der Kreis und wir kommen zu der eingangs zitierten Erkenntnis.

Anstelle verschiedene Verrenkungen bei Druck und Geometrie zu versuchen und sich dabei neue Probleme einzuhandeln, macht es mehr Sinn, sich dem eigentlichen Problem, dem rückstandsfreien Entfernen der Stützstrukturen zu widmen. Und hier gibt es brauchbare Lösungsansätze, welche nicht nur in umfangreichen Studien erfolgreich demonstriert wurden, sondern bereits in ersten Serienproduktionen umgesetzt werden.

Bauteil nach dem Hirtisieren: Bei Einhaltung einfacher Grundregeln können innere Stützstrukturen vollständig entfernt werden.

Bauteil nach dem Hirtisieren: Bei Einhaltung einfacher Grundregeln können innere Stützstrukturen vollständig entfernt werden.

Die Kraft der flüssigen Medien

Die Lösung liegt in flüssigen Bearbeitungsmedien und der Anwendung kinetisch kontrollierter Elektrochemie. Durch den chemisch-elektrochemischen Angriff werden Stützstrukturen und Pulverreste gezielt entfernt und die Oberfläche wird eingeebnet. Alle Oberflächen bzw. Innenräume des Bauteils, welche vom flüssigen Medium erreicht werden können, werden bearbeitet. Der Effekt kann durch gezieltes Durchpumpen des Behandlungsmediums noch verstärkt werden.

Ein jedes Post-Processing sollte frühzeitig in der Planung der gesamten Prozesskette berücksichtigt werden, im besten Fall bereits im Designfile. Insbesondere zur Erreichung der maximalen Effizienz in Bezug auf Energieverbrauch, Druckgeschwindigkeit und damit resultierenden Baujobkosten ist eine Abstimmung der einzelnen Schritte unerlässlich. So kann die Aufgabe der chemisch-elektrochemischen Stützstrukturentfernung entscheidend durch die gewählte Geometrie der Stützen beschleunigt werden, bis zu 30 % geringere Durchlaufzeiten sind so bereits an industriellen Bauteilen erreicht worden. So sollten z.B. Stützstrukturen die Flussrichtung des Prozessmediums berücksichtigen, sodass gestützte Bereiche immer durchflutbar bleiben. Auch eine großmaschige Perforation der Stützstrukturen ist von Vorteil. Die Wände der Supports sollten dünn gehalten werden mit einer möglichst punktförmigen Anbindung ans Bauteil. All dies unterstützt den Nachbearbeitungsprozess, stellt jedoch keinerlei Einschränkung für die Bauteile selbst und die Designfreiheit bei der Bauteilgenerierung dar.

Quod erat demonstrandum

Auch für die hier gezeigten Bauteile wurde eine Abstimmung zwischen der Nachbearbeitung Hirtisieren® und dem Bauteildesign über das Softwarepaket AM Studio (CADS Additive) vorgenommen. Als industrienahe Testgeometrie wurde ein Verteiler gewählt. Die komplexe Geometrie an inneren Kanälen und einer zentralen Kammer kann unmöglich mit klassischen Methoden entstützt werden. Somit wäre dieses Bauteil nicht realisierbar. Ein Design ohne Stützstrukturen wäre bis dato und in absehbarer Zukunft nicht möglich.

Die Bauteile wurden mittels Hirtisieren® innen und außen in einem Schritt bearbeitet und danach so wie ein unbehandeltes Bauteil auch zu Demonstrationszwecken in der Hälfte zerteilt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Oberfläche ist nicht nur frei von Pulverresten und eingeebnet glänzend, es binden sich auch keinerlei Reste der Stützstrukturen mehr am Bauteil. Alle Kanäle und inneren Kammern sind frei, das Bauteil ist einsatzbereit.

Zusammenfassend zeigt sich, dass keine Notwendigkeit zur Einschränkung der Bauteilgeometrie durch innere Stützstrukturen besteht. Ein komplett stützstrukturfreier Druck mit allen damit verbundenen Nachteilen (Reduktion der Druckgeschwindigkeit, ausgeprägter Downskin-Effekt) ist somit nicht erforderlich. Bei Einhaltung einfacher Grundregeln können innere Stützstrukturen vollständig entfernt werden, selbst in tiefen, gewundenen Kanälen oder tief im Bauteil befindlichen inneren Kammern. Mit einer Abstimmung zwischen den einzelnen Prozessschritten entstehen ein effizienter, reproduzierbarer Gesamtprozess und qualitativ hochwertige Bauteile. Diese Ergebnisse beinhalten nicht nur Versuchsteile, sondern werden bereits täglich in der industriellen Praxis und für viele Materialien umgesetzt. Somit wurde ein entscheidendes Problem der Branche erfolgreich gelöst.

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