Toolcraft: Supportentfernung durch Trockeneisstrahlen
Nachbearbeitungsprozesse nehmen in der Additiven Fertigung einen hohen Stellenwert ein. Besonders beim LPBF für Metall ist das Thema Reinigung und Supportentfernung ein kritisches Thema. Als einer der führenden Dienstleister in dieser Technologie hat sich die toolcraft AG dieses Themas angenommen und eine Lösung für die Supportentfernung entwickelt, die diesen Nachbearbeitungsschritt revolutionieren kann.
Sichere und effiziente Entfernung von Stützstrukturen mit Trockeneis.
Shortcut
Aufgabenstellung: Entfernung von Supportstrukturen bei LPBF-Teilen.
Lösung: Trockeneisstrahlen.
Nutzen: Schonende Entfernung von Supportstrukturen ohne mechanische Belastung.
Das mittelständische Familienunternehmen mit Sitz in Georgensgmünd und Spalt wurde 1989 von Bernd Krebs gegründet. Toolcraft ist Vorreiter in zukunftsweisenden Technologien wie der Additiven Fertigung und dem Bau von individuellen Turn-Key-Roboterlösungen. Als Partner für Komplettlösungen bietet Toolcraft die gesamte Prozesskette von der Idee über die Fertigung bis zum qualifizierten Präzisionsbauteil in den Bereichen CNC-Zerspanung, Additive Fertigung sowie im Spritzgießen und Formenbau. Zu den Kunden zählen Marktführer aus der Halbleiterindustrie, Luft- und Raumfahrt, Medizintechnik, optischen Industrie, dem Spezialmaschinenbau sowie Motorsport und Automotive. Teil der Unternehmensphilosophie ist zudem eine intensive Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern sowie Hochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen.
Die von Toolcraft entwickelte Anlage zur Supportentfernung mittels Trockeneisstrahlen ist voll gekapselt und automatisierbar.
„In der Additiven Fertigung gibt es einige Bereiche, in denen immer noch viel Handarbeit erforderlich ist. Das Entfernen von Stützstrukturen ist so ein Bereich. Für LPBF-Teile gibt es jetzt eine saubere, praktikable Lösung von uns.“
Möglichst durchgängige Prozesskette
„In der Additiven Fertigung, wie wir sie bei uns im Hause betreiben, liegt ein großes Augenmerk darauf eine möglichst durchgängige Prozesskette zu kreieren, die idealerweise in einen komplett digitalen Workflow eingebunden ist. Als Praxis- und Vertriebspartner für Siemens NX und auch Hersteller von Automatisierungslösungen und Robotersystemen haben wir einen tiefen Einblick in die physischen und steuerungstechnischen Möglichkeiten, die am Markt verfügbar sind. Das funktioniert schon ziemlich gut bis zu dem Zeitpunkt, wenn die additiv gefertigten Bauteile von Supportstrukturen befreit werden müssen. Da verlassen die meisten AM-Fertiger die Hightech-Welt und rücken den Bauteilen mit scheinbar antiquierten Methoden wie Hammer und Meißel zu Leibe“, erzählt Christoph Hauck, Technologievorstand der toolcraft AG und wohl einer der prominentesten Fürsprecher der AM-Technologie im deutschsprachigen Raum.
In der Additiven Metallteilefertigung ist man mittlerweile in der Lage, Materialverzug im Baujob mithilfe einer Vorverzugssimulation zu berechnen und zu kompensieren. Beim Auspacken werden hochkomplexe Algorithmen verwendet, um durch angeregte Drehbewegungen Bauteile prozesssicher von Restpulver zu befreien. Auch das Abtrennen von der Bauplattform hat man mittels Sägen und Erodieren gut im Griff. Geht es allerdings um das Entfernen der Supportstrukturen, ist in der Regel Handarbeit gefragt. Mit Zangen, Hammer und Meißel sowie handgeführten Schleif- und Trennwerkzeugen werden mehr oder weniger kompakte Stützstrukturen mühsam und aufwendig entfernt. Neben der Gefährdung des Mitarbeiters durch scharfkantige oder spitze Geometrien ist auch die mögliche Belastung durch Stäube oder sonstige Verunreinigungen nicht außer Acht zu lassen.
„Wir haben es bei uns im Unternehmen in der Additiven Fertigung mit unterschiedlichsten Werkstoffen zu tun. Neben Aluminium und Titan verarbeiten wir auch Inconel und andere Werkstoffe. Die daraus hergestellten Bauteile reichen von filigranen Strukturen, mit denen in der Handhabung sehr vorsichtig umgegangen werden muss, bis hin zu Teilen, bei denen sich Supportgeometrien aufgrund schwerer Zugänglichkeit nur mühsam entfernen ließen. Da muss man sich schon gut überlegen, wie man einen funktionierenden Nachbearbeitungsprozess gestaltet, der unseren eigenen und den Qualitätsanforderungen unserer Kunden gerecht wird“, ergänzt Hauck.
Selbst relativ kompakte Supportstrukturen können mittels Trockeneisstrahlen prozesssicher entfernt werden.
Trockeneisstrahlen als Gamechanger
Um dieser Aufgabenstellung zu begegnen, hat man 2020 bei Toolcraft damit begonnen, nach Lösungen für diesen Prozessschritt zu suchen. Da man im Werkzeugbau und in der Teilereinigung bereits das Trockeneisstrahlen verwendet hat, wurde untersucht, ob man die Technologie grundlegend auch für die Nachbearbeitung von AM-Bauteilen nutzen kann.
„Grundlage des Trockeneisstrahlens ist der Effekt, dass der entstehende Kälteschock am Bauteil dazu führt, dass die Anbindungen der Stützstrukturen zum Bauteil hin brechen und sich diese dadurch leichter entfernen lassen. In Verbindung mit der kinetischen Energie der Eiskristalle erfolgt eine effiziente Abtrennung und Zerkleinerung der Supportgeometrien. Diesen Effekt haben wir dann ganz konkret weiterentwickelt und eine Versuchsanlage aufgebaut, auf der wir diese Wirkung gezielt steuern konnten. Besonders bei filigranen Bauteilen ist eine perfekte Prozesssteuerung wichtig, damit nur die Supportgeometrien entfernt werden und das Bauteil unversehrt bleibt“, erinnert sich Patrick Meyer, der bei Toolcraft für die Vermarktung von Roboteranlagen verantwortlich ist. Und er führt weiter aus: „Zusätzlich hat sich gezeigt, dass auf dem Bauteil verbliebenes Restpulver gleichzeitig effizient entfernt wird. Da das Trockeneis ein flüchtiges Strahlmedium ist, bleibt am Ende auch nur das reine Baumaterial übrig.“
Im Laufe der Entwicklung zeigte sich, dass für einen sicheren Prozessablauf die Drücke und Durchsatzvolumina der industrieüblichen Druckluft nicht ausreichten. Auch für die Bereitstellung des Trockeneises reichte die bislang genutzte Anlieferung von vorgefertigten Trockeneispellets nicht aus. „Um einen sauber und gleichmäßig ablaufenden Prozess zu gewährleisten, haben wir unsere Versuchsanlage schrittweise um einen separaten Hochleistungskompressor sowie eine Trockeneispelletierungsanlage ergänzt, die das Trockeneis aus flüssigem CO₂ on demand herstellt. Zusätzlich haben wir einen Dreh-Kipptisch mit einem Aufspanndurchmesser von 260 mm eingebaut. Dieser lässt aber deutlich größere Bauteildimensionen zu. Lediglich die Aufspannhöhe ist auf 320 mm begrenzt, da die Strahllanze bei voller Abkippung des Tisches das begrenzende Element ist. Standardmäßig kann die Aufspannung bis zu 16 kg tragen, was jedoch je nach Anforderung modular erweiterbar ist“, geht Meyer ins Detail. Der Dreh-Kipptisch wird über eine SPS-Steuerung und einen Joystick manipuliert, was auch ein Teachen von Bewegungssequenzen erlaubt und somit bei einer Serienbearbeitung von Bauteilen eine Automatisierung ermöglicht. Die daraus entstandene Anlage kann problemlos über die große Beladetür auf der Seite um eine Roboterzelle ergänzt werden, über die von einem Palettensystem automatisch Teile zugeführt werden können und auch der Roboter die Bahnführung des Teiles vor der Strahllanze übernehmen kann. Damit entsteht ein durchgängiger, nachverfolgbarer Prozess, der auch den hohen QS-Anforderungen bei Toolcraft standhält.
Schnell, effizient und prozesssicher
„Der große Vorteil der Anlage liegt darin, dass Supportstrukturen auch in schwer zugänglichen Bereichen zuverlässig entfernt werden. Der Temperaturschock löst nicht nur die Strukturen vom eigentlichen Teil ab, sondern ermöglicht es auch Supportstrukturen gezielt zu zerkleinern, so dass ein Ausblasen durch den hohen Druck gewährleistet wird. Derzeit untersuchen wir neben den Standard-Pelletgrößen auch den Einsatz von noch kleineren Pellets, um speziell bei ganz feinen Strukturen noch effizienter zu werden“, erklärt Meyer.
Dass der Prozess hocheffizient ist, konnte an einem Demonstratorbauteil eindrücklich gezeigt werden. Eine Fahrwerksschwinge mit einem hohen Anteil an Stützstrukturen wurde im Vergleich manuell von den Stützstrukturen befreit und parallel dazu mittels Trockeneisstrahlen. Während das manuelle Entstützen ca. 60 Minuten in Anspruch nahm, gelang es mittels Trockeneisstrahlen in nur 20 Minuten.
Die Anlage ist dabei vollständig gekapselt und verfügt über eine Absaugung, die nach außen in die Umgebungsluft entlüftet. Durch eine effiziente Abscheidung von Staub und Materialpartikeln wird eine Belastung der Umgebung vermieden und eine Gefährdung der Mitarbeiter ausgeschlossen. Durch eine optionale zusätzliche Schallisolierung kann die Lärmbelastung zusätzlich weiter reduziert werden.
„Wir hatten bei der Entwicklung der Anlage im Wesentlichen unseren eigenen Workflow im Blick, haben aber im Austausch mit anderen AM-Anwendern schnell erkannt, dass es einen konkreten Bedarf an einer Lösung für das Entfernen von Stützgeometrien am Markt gibt. Darum haben wir uns entschlossen, die Anlage in ein kommerzielles Postprocessing-System weiterzuentwickeln, das ab sofort verfügbar ist. Wir sind überzeugt, dass wir damit eine längst überfällige Lösung für ein großes Problem in der Additiven Metallteilefertigung gefunden haben und freuen uns, dieses System als individuell anpassbare Serienanlage anbieten zu können“, fasst Christoph Hauck abschließend zusammen.
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