Hirtisieren an Hochfrequenz-Hohlraumresonatoren aus Kupfer
Weltweit sind über 30.000 lineare Teilchenbeschleuniger (Linacs) für diverse Aufgaben im Einsatz. Zu den bekanntesten Einsatzgebieten zählen unter anderem Strahlentherapie, die medizinische Diagnostik und Herstellung von Radioisotopen für Therapie, die Lebensmittelsterilisation, die Durchleuchtungsprüfung von Bauteilen, Bauwerken und Hochseecontainern, das Strahlungshärten und Dotieren von Mikrochips, die Materialanalyse, die Reduktion von Schadstoffen (NOx) in Abgasen sowie Forschung, wie sie am Cern betrieben wird.
Teil eines 3 GHz Linearbeschleunigers (oben) basierend auf einem konventionell gefertigten Hohlraumresonator (kupferfarben). Explosionsdarstellung des Hohlraumresonators (unten) bzw. der separat gefertigten Einzelteile, welche durch Hartlöten verbunden wurden.
Je nach Anwendung können die Längen der Linacs um mehrere Größenordnungen variieren. Großforschungsanlagen wie der geplante Compact Linear Collider (CLIC) beschleunigen Teilchen über mehrere Kilometer und verursachen Investitionskosten in Milliardenhöhe. Im Gegensatz dazu sind Elektronen-Linacs, wie sie z. B. für industrielle und medizinische Anwendungen eingesetzt werden, oft nur einen Meter lang, erfordern einen Invest im Millionenbereich aber stellen über 80 Prozent aller Linacs dar.
3 GHz Linearbeschleuniger mit additiv gefertigtem Hohlraumresonator (links) gefertigt aus reinem Kupfer in einem Stück. Schnittdarstellung des additiv gefertigten Hohlraumresonators (rechts). Durch die Additive Fertigung konnte im Vergleich zum konventionell gefertigten Linearbeschleuniger die Performance um ca. 20 % gesteigert und die Fertigungskosten für den Hohlraumresonator um 70 % reduziert werden.
Komplexe innere Geometrien
Die meisten modernen Linacs bestehen grundlegend aus mehreren aus Kupfer gefertigten Hohlräumen, die mit einer spezifischen Resonanzfrequenz angeregt werden. In diesen Hohlraumresonatoren werden hohe, wechselnde elektromagnetische Felder erzeugt, welche geladene Teilchen wie Protonen oder Elektronen auf ein definiertes Ziel beschleunigen. Zur Fokussierung der elektromagnetischen Felder sind Hohlraumresonatoren mit komplexen internen Geometrien ausgestattet, welche wiederum mit Kühlkanälen durchzogen sind, um einen stabilen Betrieb bei hohen Eingangsleistungen zu gewährleisten.
Aufgrund dieser komplexen inneren Geometrien erfolgt ihre Herstellung im konventionellen Verfahren aus vielen aufeinander abgestimmten Einzelteilen, die durch mehrere Fügeschritte wie Hartlöten oder Elektronenstrahlschweißen verbunden werden. Dieser Prozess ist fehleranfällig und mindert die Linac-Performance. Zusätzlich ist die konventionelle Fertigung der in Linacs verbauten Hohlraumresonatoren für bis zu 20 Prozent dieser Investitionen verantwortlich.
Aufgeschnittener Hohlraumresonator nach der Additiven Fertigung (links, oben). Höhenprofil des Hohlraumresonators nach der Additiven Fertigung (rechts, oben). Additiv gefertigter Hohlraumresonator nach dem Hirtisieren (links, unten). Höhenprofil des Hohlraumresonators nach dem Hirtisieren (rechts, unten).
Nicht ohne weitere Nachbehandlung
Die Additive Fertigung hat das Potenzial, die Fertigungskosten für Hohlraumresonatoren zu reduzieren und gleichzeitig ihre Performance zu steigern. An der Universität der Bundeswehr München wird derzeit erforscht, wie Hohlraumresonatoren mittels pulverbettbasiertem Schmelzen von Metall unter Verwendung eines Laserstrahls (PBF-LB/M) aus hochreinem Kupfer hergestellt werden können. Gedruckte Hohlraumresonatoren können aber nicht ohne weitere Nachbehandlung eingesetzt werden. Zunächst sind für die maximale Gestaltungsfreiheit und somit die Linac-Performance beim PBF-LB/M mitgedruckte Stützstrukturen unerlässlich. Diese müssen vor der Anwendung auch wieder entfernt werden.
Linacs für industrielle und medizinische Anwendungen haben Resonanzfrequenzen im GHz-Bereich. Hier ist der Stromfluss auf eine oberflächennahe Schicht von weniger als 10 µm beschränkt (Skin-Effekt). Die Rauheit der Oberfläche nach dem PBF-LB/M hat eine ähnliche Größenordnung, was den Oberflächenwiderstand erhöht und die Linac-Performance um bis zu 70 Prozent reduziert. Eine Verringerung der Rauigkeit ist daher essenziell.
Das Tunen der Resonanzfrequenz eines konventionell gefertigten Hohlraumresonators erfolgt durch iterative Anpassung der Einzelteilgeometrie vor dem schlussendlichen Zusammenfügen. Bei additiv gefertigten Hohlraumresonatoren funktioniert dieses Tuningkonzept nicht.
Da die meisten Flächen in der Kammer keine line-of-sight von außen besitzen, ist eine Behandlung mit mechanischen Werkzeugen keine Option. Rena Technologies Austria GmbH bietet für solche Anwendungen mit dem Hirtisieren®-Verfahren einen entscheidenden Vorteil: Das Werkzeug ist eine Flüssigkeit und kann damit komplexeste innen- sowie außenliegende Strukturen erreichen.
Auflösen von Metall an der Oberfläche
Hirtisieren ist eine Familie an chemisch/elektrochemischen Nachbearbeitungsverfahren, die von Rena speziell für die Oberflächenbehandlung von additiv gefertigten Metallbauteilen entwickelt wurde. Hirtisieren ermöglicht die Entfernung von Stützstrukturen und die Einebnung von Oberflächen unabhängig davon, ob diese an der Außenseite oder im Inneren des Bauteiles liegen. Dies geschieht durch Auflösen von Metall an der Oberfläche, was zu einem homogenen Abtrag über das gesamte Bauteil führt. Für Maßhaltigkeit kann der Abtrag also mit einem konstanten Aufmaß über das gesamte Bauteil berücksichtigt werden. Neben den gängigen Materialien 1.4404, Ti6Al4V, AlSi10Mg und IN718 sowie weiteren Nischenmaterialien kann auch Reinkupfer wie im vorliegenden Projekt behandelt werden.
Für die additiv gefertigten Hohlraumresonatoren der Universität der Bundeswehr München konnte durch Hirtisieren die Rauigkeit auf wenige 100 nm (Sq) gesenkt werden. Diese glattere Oberfläche steigert die Performance des Resonators somit auf mehr als 98 Prozent der simulierten Leistung (vs. unter 70 Prozent ohne Hirtisieren). Zudem konnte erfolgreich demonstriert werden, dass neben der Glättung auch Stützstrukturen in den Resonatoren entfernt werden können. Da der Abtrag homogen ist und mit der Prozesszeit zunimmt, kann der Prozess auch unterbrochen werden und die Resonanzfrequenz gemessen werden. Durch ein schrittweises Behandeln und Messen konnten somit Hohlraumresonatoren genau auf die Zielfrequenz gestimmt werden, auch wenn die Ausgangsfrequenz schwankt. Weiters werden beim Hirtisieren ausschließlich wässrige Medien verwendet, was saubere und ölfreie Oberflächen hinterlässt. Diese Sauberkeit ist für sensible Anwendungen, wie diese Vakuumbauteile, notwendig und automatisch vorhanden.
Optimale Ergänzung
Die Prototypen, welche in dieser Kollaboration gefertigt wurden, zeigen, dass im Vergleich zur konventionellen Fertigung die Herstellungskosten um zwei Drittel reduziert werden können – bei gleichzeitiger Steigerung der Performance um ca. 25 Prozent. Somit wurde durch die Kombination von kostengünstigerer und risikominimierender Anwendung des 3D-Drucks mit der Oberflächenbehandlung des Hirtisierens ein innovativer und entscheidender Fortschritt in diesem Gebiet erzielt. Gemeinsam arbeiten Dr. Mayerhofer als Projektleiter der Universität der Bundeswehr München und Rena Technologies Austria jetzt an der weiteren Umsetzung mit industriellen Partnern.
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